Auf Entdeckungsreise in den kanadischen Rocky Mountains
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Auf Entdeckungsreise in den kanadischen Rocky Mountains

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Auf Entdeckungsreise in den kanadischen Rocky Mountains

Dominique Roulin, Veyrier GE

Lake Louise und Mount Victoria

Um die Jahrhundertwende herrschte noch die grosse Epoche der viktorianischen Besteigungserfolge, die einige Jahre zuvor die Berühmtheit der europäischen Alpen bewirkt hatten. Zu jener Zeit erwartete man oft von jungen, wohlhabenden Leuten, dass sie durch irgendeine aufsehenerregende Tat auffielen. Dies war manchmal eine einfache Sache: Ein Abenteurer ging schon in die Geschichte ein, wenn er der erste war, der den Gipfel einer der zahlreichen leichteren Berge, die sich entlang der neuen Eisenbahnlinie und der bequemen Hotels der CPR erhoben, erreichte.

Die Erstbesteigungen folgten einander bis ins Jahr 1896, dem Jahr, in dem der Amerikaner Philip Stanley Abbot während eines Versuchs am Mt. Lefroy tödlich verunglückte. Es handelte sich dabei um den ersten wirklich erfahrenen Alpinisten, der in den Rockies den Tod fand. Von diesem Tag an entschloss man sich bei der Canadian Pacific Railway, besorgt um den Ruf bei den hohen Gästen, professionelle Bergführer anzustellen - und zwar aus Interlaken im Berner Oberland. Diese nahmen ihre Arbeit 1899 in der Station Glacier House beim Rogers Pass auf. In der Folge wurden sie von allen Eisenbahn-Hotels im Gebirge angestellt. Siebenundzwanzig Schweizer Bergführer arbeiteten so für das Unternehmen, doch nur sechs von ihnen liessen sich für immer in Kanada nieder.

Gegen 1925, als die vom viktorianischen Geist geprägten Reisen aus der Mode kamen, begaben sich immer weniger Touristen hierher, um die Berge zu erkunden. CPR Schloss Glacier House und verlegte alle Bergführerdienste nach Lake Louise. Allmählich hörte das Unternehmen damit auf, Bergführer anzustellen, um schliesslich 1949 diese Dienstleistung ganz aufzugeben. In diesem Jahr trat Edward Feuz jr ., der letzte für CPR arbeitende Schweizer Bergführer, in den Ruhestand. Während beinahe 50 Jahren hatten diese Führer die Rockies in allen Richtungen durchstreift. CPR betont, dass sich in all jenen Jahren kein einziger Alpinist unter der Aufsicht des Unternehmens ernstlich verletzt habe!

Die Wegbereiter Die Geschichte der Eroberung des kanadischen Gebirges ist lang, kompliziert, von prägenden Ereignissen und verblüffenden Leistungen gespickt und mindestens ebenso reich wie diejenige unserer europäischen Berge.Vielleicht ist sie sogar noch komplexer und geheimnisvoller, auf jeden Fall weniger bekannt!t Die ersten zaghaften und seltenen Erkundungsreisen in die Rocky Mountains begannen gegen Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Kette wurde systematisch von ihrer weniger abweisenden Ostflanke angegangen. Damals wusste man nichts von der Westseite des Gebirges, abgesehen davon, dass sie zum Pazifik abfällt. Und auch wenn die Weissen die Rocky Mountains als unüberwindbar betrachteten, sind sich die Historiker heute einig, dass Indianer der Stämme Peigan, Assiniboine, Blackfoot und Kootenay schon 1 In diesem Zusammenhang muss die ausgezeichnete, in Publikation begriffene Arbeit von Robert Sandford erwähnt werden: The Canadian Alps - The History of Mountaineering in Canada ( Verlag Altitude Publishing, Banff, Kanada ). Zur Zeit ist nur der erste Band erhältlich, er deckt aber bereits einen äusserst interessanten Teil dieses geschichtlichen Überblicks ab. In nächster Zeit sollten zwei weitere Bände erscheinen.

sehr früh einige Routen kannten, auf denen das Gebirge durchquert werden konnte.

Wie bei der Erkundung der Alpen folgten auch hier verschiedene Phasen aufeinander. Die Flüsse, gefährlich wegen ihres unvorhersehbaren Gefälles, wurden benützt, um zu den Bergen vorzudringen. Dann - mit neuen Kenntnissen versehen - machten sich die Menschen an die Überschreitung der Pässe und Übergänge. Schliesslich trafen die ersten Alpinisten ein, die die am besten zugänglichen Gipfel bestiegen und ihren Blick auf weitere Berge richteten, die als neue Ziele dienten.

Gegen 1833 beschleunigt sich die Geschichte der Eroberung. Angetrieben von den verschiedenen Erhebungen, die durch Geometer, Kartographen und Geologen gemacht worden waren, begannen die Alpinisten damit, in immer entlegenere Gebiete einzudringen. Unter den Pionieren muss man die Ingenieure Wheeler und Bridgland nennen, dann Topham, Green, Huber, Sulzer, Fay, Abbot, Wilcox, Collie, Stuffield, Coleman, Weed sowie zwei von der Canadian Pacific Railway angestellte Bergführer: Eduard Feuz und Christian Hasler. Aus der heutigen Perspektive kann man sich die Schwierigkeiten, die diese Männer bei ihren Unternehmungen überwinden mussten, leicht vorstellen: Die Gipfel befanden sich manchmal mehr als eine Woche vom nächsten bewohnten Ort entfernt, die Vegetation erschwerte das Vorwärtskommen massiv, die Durchquerungen der Flüsse endeten bisweilen tragisch, jederzeit konnte der Mensch von gefährlichen Tieren überrascht werden - Bären und Pumas waren viel häufiger als heute -, die Ausrüstung war minimal, und die oft sehr rauhen Witterungsverhältnisse gehörten zu jeder Besteigung.

Auch der Name Conrad Kain darf nicht verschwiegen werden: Kain, ein bekannter österreichischer Führer, wurde berühmt durch die erste Besteigung des Mount Robson ( 3954 m ), des höchsten Punktes der kanadischen Rockies. Noch heute wird diese Begehung als absolut verblüffend bezeichnet. Sie stellte damals eine aussergewöhnliche Glanzleistung dar, die in Europa erst sehr viel später wahrgenommen wurde! Heutzutage verlangt die Begehung der am Mt. Robson mindestens insgesamt vier Tage. Meistens werden für diese hervorragende Besteigung aber fünf bis sechs Tage benötigt. Es handelt sich dabei um eine lange, komplizierte und heikle Gletschertour, die überdies, wie alle Routen am Robson, ein grosses physisches und psychisches Engagement voraussetzt.

Grand Sentinel Meine Begleiterin und ich haben diese Reise nicht auf irgendeine spezielle Art vorbereitet. Und doch gelang uns dank der erstaunlich günstigen Wetterverhältnisse die Durchführung fast aller unserer Tourenpläne, die wir uns vor der Abreise zurechtgelegt hatten. Wiederholt betonten einheimische Bergsteiger, die wir unterwegs antrafen, welch ausserordentliches Wetterglück wir hätten. Das im allgemeinen sehr launische Klima der Rockies ist charakterisiert durch im wesentlichen grosse Unstabilität und sehr schnelle Wetterstürze. Diesbezüglich hat sich der Sommer 1994 also als eine der stabilsten Saisons der letzten Jahrzehnte erwiesen. Ich musste jedoch, trotz unseres Wetterglücks, einige Ziele nach unten korrigieren, da sich gewisse Anmärsche als lang und mühsam herausstellten. Einige Tage haben mir gereicht, um mich zu überzeugen, dass es nicht Legenden sind, die um den Zustieg zu den Bergen zirkulieren, und eines war mir schnell klar: Die kanadischen Bergsteiger sind ausgezeichnet im Marschieren!

In der Gegend des Moraine Lake haben wir unsere erste Tour ausgeführt: die Besteigung einer wunderschönen Nadel, die den Namen Grand Sentinel trägt. Ein langer Anmarsch über Sentinel Pass am Fuss des Mt. Temple für ein bisschen Kletterei! Dieser Tag stellte sich allerdings als wunderbar heraus, so stark war das Gefühl der Abgeschiedenheit. Die Kletterei selbst war eher exponiert und sehr luftig. Der Fels, ein manchmal leicht splitternder Gneis mit oft von kleinen Trümmern bedeckten Griffen, erforderte grosse Vorsicht. Der Gipfel erlaubte uns, die grossen Wände der Umgebung zu entdecken, allen voran jene des Mt. Deltaform und des Mt. Lefroy. Weiter im Norden verlor sich die Kette aus dem Blickfeld. ( Ganz im Unterschied zu den Massiven von Alaska und von Yukon bilden die kanadischen Rocky Mountains eine gerade Linie, die sich vom 60. Breitengrad im Norden bis in die Vereinigten Staaten hinunter zieht. Der höchstaufragende Teil der Kette erstreckt sich über 700 km zwischen dem 53. und dem 49. Breitengrad. Der Gebirgszug trennt die Provinzen Alberta und Bri-tisch-Kolumbien voneinander. Dieses riesige Gebiet, das umfangreicher als die Schweiz ist, wird zum grössten Teil von den Nationalparks Jasper, Yoho, Kootenay und Banff abgedeckt, dazu gesellen sich die Pro- vinzparks Assiniboine und Robson. ) Wenn man soviel Natur zur Verfügung hat, könnte man beinahe ein bisschen frustriert werden. Ein ganzes Leben genügt nicht, um alle unbekannten Orte, die sich unseren Augen präsentierten, zu besuchen: die unzähligen Pässe, die Täler ohne Ende, die riesigen Wälder, von denen gewisse noch nie durchquert wurden.

Der Mount Whyte Über Lake Louise im Nationalpark von Banff erheben sich einige äusserst interessante Gipfel; dazu gehören Mt. Lefroy und Mt. Victoria. Neben diesen Gipfeln hat der Mount Whyte natürlich nicht die Würde eines Herrschers, mit seinen 2983 m würde er sogar eher eine blasse Figur abgeben! Ich legte aber gleichwohl Wert darauf, seine Besteigung durchzuführen. Seine ungehobelten und strengen Linien faszinierten mich, seine Lage als Trabant zog mich ebenso an wie seine langen Grate, die Tour, die sich nur im Fels abspielt, und die Möglichkeit, seine Überschreitung in einem einzigen Tag durchzuführen. Zudem erweckten die eigenartige Beschaffenheit des Felsens und die Grösse der Türme, die sich auf dem Grat erheben, meine Aufmerksamkeit. So starteten wir also um fünf Uhr morgens in Lake Louise.

Nachdem wir um den wunderbaren Lake Agnès marschiert waren, folgten wir Spuren, die uns halfen, den Grat nördlich von Devil's Thumb zu betreten. Von dieser Stelle bietet sich eine sehr seltsame Sicht auf den Grat. Er scheint kein Ende zu nehmen, und es schien mir, dass ein Tag nicht ausreichen würde, um ihn zu begehen. Die umgebende Landschaft ist abgeschieden und wirkt irreal. Der Fels, der vollkommen zerrissen und an vielen Stellen zerborsten ist, sieht so aus, als ob er von der Sonne verbrannt worden sei.

Ich erkletterte mit Vorsicht eine Abfolge von wackligen Stufen und machte Stand am Fuss eines ersten Aufschwunges. Ach - dieser Aufschwung! Wer, auch heute noch, gibt mir die Lösung zu seiner Überwindung? Die Routenbeschreibung, in der von einer maximalen Schwierigkeit von 5.6 ( in der französischen Skala einer unteren 5 ) die Rede ist, bewegte mich zu verschiedenen Versuchen links und rechts; alle endeten damit, dass ich mich mittels einer heiklen Abkletterei zurückzog. Der sehr brüchige Fels und die Schwierigkeit, die sich eher bei 5.10 ( 6b ) als bei 5.6 bewegte, wurden mei- ner Begeisterung bald Herr. Ich hatte nicht das Material, das man für die Absicherung von schwierigen, sich zudem in gefährlichem Fels abspielenden Seillängen benötigt, dabei. Eine gute Stunde verging mit meinen nutzlosen Versuchen; dann mussten wir handeln. Wir wählten die Lösung, den Aufschwung südlich zu umgehen und den Grat etwas weiter oben wieder zu erreichen. Von hier an, abgesehen von ein paar seltenen Stellen in gutem Fels, gleicht das Ganze einer aufgehäuften Beige von Tellern und riesigen Schränken in wackligem Gleichgewicht, von der Schwierigkeit einer abschliessenden Verschneidung ganz zu schweigen. Kurz, eine stark unterbewertete Tour ( die 5.6 des Gipfelaufschwungs sind auch ein schlechter Scherz !), sei es, was die Schwierigkeit, sei es, was den Einsatz angeht. Die korrigierte Bewertung macht allerdings daraus auch keine wirklich schwierige Tour: Grad III, was das physische und psychische Engagement angeht, und 5.9 obligatorisch -dies würde wahrscheinlich einer objektiven Bewertung nahekommen. Dazu muss bemerkt werden, dass eben gerade die mittleren Kletterer, die an einer solchen Tour interessiert sein könnten, vor den Unannehmlichkeiten einer Fantasie-Bewertung gewarnt werden sollten.

Die Gegend von Lake O'Hara und der Wiwaxy Peak Langsam begann die Sonne, den kleinen, noch ganz von der Nacht verschluckten See aufzuwärmen, während ein alter Bus uns nach fünfzehn Kilometern staubiger Piste in Lake O'Hara ablud. Im Bus hatte uns eine hübsche junge Frau, ihres Zeichens Parkwärterin, über die für die Gegend gültigen Regelungen informiert. Lake O'Hara, wohl einer der empfindlichsten Punkte der kanadischen Rockies, ist sicherlich einer der von der Verwaltung der kanadischen Parks am besten überwachten Orte. Die Zahl der Besucher dieses Juwels wird durch ein etwas ein-engendes Reservationssystem eingeschränkt. Pro Tag fahren lediglich zwei Pen-delbusse, und die Piste ist für jeglichen anderen Verkehr strikte geschlossen. Die Bewilligungen für Übernachtungen auf dem Campingplatz des Ortes werden mit dem Tropfenzähler ausgeteilt, und das gleiche gilt auch für die Lodges>, deren unerschwingliche Preise schon allein Grund genug sein können, einen von einer Übernachtung abzuhalten.

Die Parkwärterin machte insbesondere auf die Probleme, die durch die Bären entstehen können, aufmerksam. Die in diesem Jahr sehr zahlreichen Grizzlies hatten die Behörden gezwungen, gewisse Sektoren von Lake O'Hara zu schliessen. Zu diesem Thema steht den Interessierten in der Hütte von Lake O'Hara eine ausführliche Dokumentation zur Verfügung. Darin findet man alle Statistiken und Analysen zu den stürmischen Begegnungen zwischen Tier und Mensch. Wir empfehlen allen - um die gute Laune nicht zu verlieren -, sich dieser Lektüre erst nach der Rückkehr von einer Tour zu widmen.

Neben den etwa zwanzig Wanderern, die aus dem Bus stiegen, waren wir die einzigen Bergsteiger. Unser Ziel war die Besteigung des Wiwaxy Peak über den W-Grat ( Grassi-Grat ). Dieser grosse Klassiker der Rockies bietet auf über 300 Höhenmetern eine Traumkletterei in perfektem Gneis. Die Umgebung des Wiwaxy Peak, die geradezu von überirdischer Schönheit ist, verstärkte unseren Eindruck, in eine intakte, ursprüngliche Welt einzudringen. Mit dem Betreten dieser unermesslichen Naturräume gingen unsere städtischen, von Masslosigkeit geprägten Gedanken schnell verloren. Ich kletterte schnell. Der Fels erinnerte mich an die Region von Arolla in unseren Alpen. Die einzelnen Stellen waren nicht sehr schwierig, aber oft luftig und schwierig abzusichern. Wir bahnten unseren Weg durch eine Welt der Stille. Wir reagierten auf jedes Rauschen in der Luft, beachteten jeden Streifen am Himmel, bemerkten neugierig den Stein, der durch ein endloses Couloir hinunterstürzte. Eine feine Mischung von Instinkt und Intuition beherrschte uns. Es fehlte uns an nichts. Die perfekte Harmonie zwischen unseren Sinnen und dem Geist hatte sich während des Aufenthalts in dieser schönen und fordernden Natur eingestellt.

Die Nordwand des Mount Athabasca Die auf halbem Weg zwischen Lake Louise und Jasper gelegene Region des Columbia Icefield ist das grösste vergletscherte Gebiet der ganzen Rocky Mountains. Die hier sehr stark befahrene Strasse führt am Rand von riesigen Gletscherfeldern ( Sunwapta Pass ) vorbei, bevor sie wieder zu den Wäldern hinunter- und Richtung Jasper weitergeht. Aus der Sicht des Alpini- 138sten ist das Columbia Icefield einer der wichtigsten Orte. Hier trifft man - an Mt. Kitchener, Mt. Alberta und North Twin - auf die schwierigsten Touren der Rockies. Es ist auch der Ausgangs- und Endpunkt für Ausflüge auf sehr entlegene Gipfel wie Mt.Columbia, Mt. Bryce oder Castleguard. Einige der Touren wurden nie wiederholt; dies gilt z.B. für die Route von G. Lowe und C. Jones durch die N-Wand des North Twin: Zwei Tage Anmarsch, fünf Tage für die Route, zwei bis drei Tage für den Abstieg, dazu gesellen sich grosse objektive Gefahren, Schwierigkeiten im Fels bis 5.10 und A4 und - sozusagen als Zugabe - ein Ausstieg in kombiniertem Gelände und Eis, der als sehr heikel bewertetet wird! Diese Erstbesteigung wurde während anhaltend schlechtem Wetter im Jahre 1974 durchgeführt. Sie ist sehr bezeichnend für den Stil von G. Lowe, einem grossartigen Alpinisten, der leider am Mt. Logan verschollen ist.

Columbia Icefield dient allerdings nicht nur den grossen Unternehmungen. Eine Vielzahl von Touren, meist im Eis oder kombinierter Art, erwartet den Liebhaber von leichteren Besteigungen. Es handelt sich um technisch ziemlich anspruchsvolle Anstiege, wo der Abstieg aber im allgemeinen durch eine angenehme Normalroute erleichtert wird. Dies trifft auch auf die N-Wand des Mt. Athabasca zu.

Es ist drei Uhr morgens, und wir sind auf der Moräne schon weit vorangekommen. Da ich die Orte nicht kenne und in dieser Nacht das Mondlicht fehlt, fürchte ich mich vor einem Fehler in der Routenwahl. Alles wickelt sich aber normal ab, und als uns das erste Tageslicht empfängt, befinden wir uns schon beinahe am Fuss unserer Wand. Die ca. 400 Meter hohe N-Wand des Mt.Atha-basca ist von konkaver Form und bietet drei besonders schöne Routen: , und die am meisten begangene . Wir sind mit der Absicht gekommen, letztere zu begehen, müssen aber unser Vorhaben sofort aufgeben: Der Hang, der sich unseren Augen präsentiert, ist extrem vereist, und der Bergschrund an seinem Fuss scheint unüberwindbar. Ich habe die Idee, links der klassischen Route einzusteigen und dann über die folgenden Hänge in der Fallirne bis zum Vereinigungspunkt mit der aufzusteigen. Diese Linienführung erweist sich als ausgezeichnet. Sie verbindet auf herrliche Art die verschiedenen Typen der Klette- Man nehme sich vor üppig bewachsenem Gelände, in dem es viele Beeren gibt, in acht - der Schwarzbär ist keine Legende!

rei, und wir empfinden ein riesiges Vergnügen beim Aufstieg über diese schöne, regelmässige Wand. Dreihundert Meter über einen 55° steilen, anhaltenden Eishang führen uns auf den Nordgrat. Es ist zauberhaft, zum Abschluss die oberen Aufschwünge dieses Grates zu erklettern. Wir bewegen uns ständig zwischen Schatten und Sonne, kommen gut voran, wobei wir ab und zu interessante heikle Stellen im kombinierten Gelände überwinden müssen. Eine schöne, ausgesetzte Seillänge und ein paar schiefrige, etwas luftige Platten führen mich zum schmalen Gipfelgrat. Beim Blick ins Tal hinunter sind wir vom bereits zurückgelegten Weg beeindruckt. Der Gletscher erstreckt sich - wie die Schleppe einer Braut - weit in die Ferne. Im Westen zieht der Mt. Bryce unsere Augen an: die Versuchung des Unerreichbaren! Wir blicken auch in Richtung des Mt. Kitchener, einer ausgedehnten Eiskrone, die 800 Meter hohe Felswände überragt. Weiter rechts namenlose Gipfel, verborgene Pfeiler, die sich unserem Blick entziehen. Die Luft ist trocken und kalt, unsere Gedanken und Träume gehen dem Himmel zu, wir müssen an den Abstieg denken.

Die schönsten Wanderungen Neben der grossen Masse von Touristen, die vor allem den Verkehr auf den Strassen bewirken, ziehen die kanadischen Rocky Mountains eine grosse Zahl von Naturfreun- Stille, aber eindrückliche Stimmung am Ufer des Jasper Lake den und Wanderern an. Dazu muss gesagt werden, dass die Möglichkeiten fast unbeschränkt und die Wege meist in bemerkenswertem Zustand sind. Es ist aber wichtig zu wissen, dass das Wandern in diesen Gebieten - genau gleich wie im Hochgebirge - verschiedene Schwierigkeitsniveaus und verschiedene Grade des physischen und psychischen Engagements beinhaltet: Es gibt alles vom leichten Tagesausflug auf Weg ( easy day> ) bis zur sehr langen ( ), bis zu zehn Tagen vollkommene Autonomie erfordernden Wanderungen durch unerschlossenes Gelände. Auch darf man in gewissen Gebieten die Gefahren, die durch die Anwesenheit von Bären entstehen, nicht unterschätzen. Die Wasserstellen sind nicht immer leicht zu erreichen, und das Wasser kann von Parasiten verseucht sein. In jedem Fall sollte man sich vor einer mehrtägigen Wanderung im Parkbüro einschreiben. Diese Einschreibung ist übrigens im Prinzip im Innern der Parks ohnehin obligatorisch.

Aus einem grossen Angebot auszuwählen ist nie einfach. Wer kann schon sagen, dass dieser jenem überlegen ist? Es gibt jedoch bei der Auswahl einer schönen Wanderung einige sichere Kriterien: die Zahl der Besucher, der Abwechslungsreich- Der Mount Robson ( 3954 m ) ist der höchste Punkt der kanadischen Rocky Mountains. Auf diesen majestätischen Gipfel gibt es keine leichte Route.

turn der Landschaft, die Qualität der Über-nachtungsorte und die Etappenlänge.

Lake Magog ( Banff National Park ) Ausgangspunkt Spray Lake; etwa zwanzig Kilometer lange Wanderung in leichtem Gelände ohne grossen Höhenunterschied; ausgezeichneter Weg. Man erreicht den idyllischen Lake Magog am Fuss des Mt. Assiniboine, dem Matterhorn der Rockies. Wenn man Lust hat, kann man bis zur Assiniboine Hut weitermarschieren, aber der Aufstieg zum Plateau, auf dem die Hütte errichtet ist, ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden: man muss dabei einige leichte Kletterstellen überwinden und ein wenig Gespür für das Finden der Route besitzen. Die Wanderung kann in drei Tagen gemacht werden. Campingplätze auf halbem Weg nach Spray Lake und in Lake Magog.

Tonquin Valley ( Jasper National Park ) Auf dieser Wanderung lernt man eine absolut einmalige Seenlandschaft kennen! Es handelt sich um ein ziemlich abgelegenes Gebiet, in dem seit jeher recht viele Bären leben. Man geht die Schlaufe in Richtung Maccarib Pass, Amethyst Lake, Surprise Point, Chrome Lake an und beendet sie durch das Astoria Valley ( Edith Cavell Trail ). Ca. 50 km in fantastischer Umgebung, am Fuss der hohen Wände des Mt.Oubliette und des Dungeon Peak. Man rechnet vier Tage. Mehrere Campingplätze.

Mount Alberta Hut ( Gebiet von Icefields Parkway ) Diese Route findet man in keinem Wanderführer, da sie nicht als Wanderung betrachtet wird. Es handelt sich dabei, gemäss einigen einheimischen Gebietskennern, um eine der schönsten Wanderungen der Rockies. Alberta Hut ist eine der sehr seltenen kleinen Biwak-Hütten ( sechs Plätze ), die sich völlig abgeschieden einen Tagesmarsch von der nächsten Strasse weg befindet. Der Zugang ist ziemlich schwierig, was ihr Fehlen in der gängigen Literatur erklärt. Die Wanderung erfordert gute Kenntnisse des Gebirges und des Gletschers. Man muss einen heiklen Grat ( Woolley Shoulder ) auf gegen 3000 m überschreiten und bewegt sich auf einem zerklüfteten Gletscher. Kaum hat man die Autotü-ren geschlossen, erwartetet einen bereits ein ernster Auftakt: Zuerst muss man die zahlreichen eisigen Arme des Athabasca River ( mehrere Stellen mit Wasser bis zu den Knien; Ersatzschuhe für nach der Rückkehr bereitstellen ) überqueren, wobei man sich für die beste Stelle, an der man den Fluss durchwatet, entscheiden muss. Dann steigt man den Woolley Creek entlang hoch, indem man möglichst der besten Spur folgt. Vom Fuss des Mt. Woolley an kann man sich nur noch auf das eigene Gespür für die richtige Route verlassen, um zur Hütte zu gelangen. Die Sicht von der Woolley Shoulder aus ist ergreifend; man steht zwei der schwierigsten Gipfel der Rockies - North Twin und Mt. Alberta - gegenüber. Der Aufstieg zur Alberta Hut schliesslich ist ziemlich mühsam und streng, führt aber durch eine grossartige Landschaft. Für den Fall, dass die Hütte besetzt ist, muss man ein Zelt mitnehmen, da es in der Umgebung überhaupt kein Biwak gibt.

Berg Lake ( Mount Robson Provincial Park ) Die Bilderbuchwanderung! Die Chance, dass man davon enttäuscht zurückkommt, ist klein, ausser schlechtes Wetter mache einem einen Strich durch die Rechnung; in diesem Teil der Rockies sind die Witterungsbedingungen sehr unstabil. Wie bereits erwähnt, ist der Mount Robson der höchste Punkt der kanadischen Rockies ( 3954 m ). Die Wanderung nach Berg Lake, einem wunderbaren See, in den die mächtige Gletscherzunge der Robson-Nordwand ein-fliesst, ist in ihrer Art einmalig. Man benötigt einen langen Tagesmarsch, um nach Berg Lake zu gelangen. M.E. unterteilt man diese Etappe besser in zwei und übernachtet in Whitehorn. Die Ankunft am See ist sehr eindrücklich, und wenn das Wetter schön ist, sollte man nicht zögern, mehrere Tage an seinem Ufer zu verbringen. Der Ort eignet sich bestens zur Meditation.

Man kann von hier aus in nördlicher Richtung über den Robson Pass und am Adol-phus Lake vorbei weiterwandern bis zum North Boundary Trail, um dann nach Jasper Lake zurückzukehren. Dabei muss man sich auf eine über einwöchige Wanderung in vollkommener Autonomie vorbereiten.

Die grossen Touren Zwischen den Bergsteigern der Rockies und uns europäischen Alpinisten gibt es einen entscheidenden Unterschied im Verständnis zweier Begriffe: der Zeit und der In der Nordwand des Mount Athabasca; die ersten Seillängen Begehungshäufigkeit der Touren. Im allgemeinen werden in Kanada drei Begriffe angewendet, um die Länge einer Tour anzugeben: leicht in einem Tag machbar ( ), langer Tag ( ) und mehrtägige Tour ( long round trip> ). Die bei uns gebräuchlichen Zeitangaben werden kaum verwendet. Zu viele Faktoren beeinflussen den Zeitbedarf, und der kanadische Alpinist spricht deshalb eher von Kilometern, als Stundenangaben zu machen. Dies vorausgeschickt, sollte man allerdings wissen, dass ein sich gut und gerne auf eine zehnstündige Tour beziehen kann und dass ein die Kniescheiben vergnügt etwa zwanzig Stunden lang beanspruchen wird! Was den betrifft, gleicht seine Organisation derjenigen einer kleinen Expedition.

Es gibt in den Alpen auch keine vergleichbare Skala in bezug auf den kanadischen Massstab für die Begehungshäufigkeit einer Tour. Einige Begehungen innerhalb einer gewissen Zeitperiode reichen aus, um eine kanadische Tour ( klassisch ) zu machen. So verhält es sich bei vielen Routen, die vielleicht nur ein- bis zweimal pro Jahr begangen werden. Dem NE-Grat des Mt. Alberta, einer Kletterei, die eine jeder Prüfung gewachsene Psyche erfordert, wird wohl bald das Attribut zugeordnet werden, auch wenn seit der Erstbegehung 1985 bloss vier Begehungen gezählt wurden. Der Emperor Ridge am Mt. Robson ist eine klassische Tour, die während einiger Jahre keinen Besucher mehr gesehen hat! D. h. also, dass man, wenn man sich in eine grosse, als bezeichnete Route wagt, nicht damit rechnen darf, auf eindeutige Spuren vorhergehender Begehungen zu treffen.

Die Qual der Wahl Der Mt. Robson bietet Routen, die jene Alpinisten, die lange, technisch anspruchsvolle und grosses Engagement verlangende Touren suchen, befriedigen werden. Die ca. 1500 m hohe Emperor Face weist zwei sehr harte, kombinierte Routen auf, die auf der Höhe der berühmten

Die kanadischen Rockies bieten eine beeindruckende Zahl von Touren im Stil einer Eiger-Nordwand ( oder oft noch schwieriger ). Auch die Zahl von grossen Routen, die nie wiederholt wurden, ist eindrücklich. Dies gilt z.B. für den South Tower in Good-sirs oder für die Route von G. Lowe am North Twin. Es wäre mühsam, eine Liste der ersten Winterbegehungen, die noch ausstehen, aufzustellen. All diese Charakteristika haben mit der Grösse des Landes zu tun: Die langen und komplizierten Zustiege, die bedeutenden objektiven Gefahren in gewissen Wänden und die Rettungsaktionen, auf die man sich nicht verlassen darf, sind Faktoren, die bei der Erschliessung und Begehung des unermesslichen Potentials an Routen in den Rocky Mountains eine wesentliche Rolle spielen.

Eingerichtete Kletterrouten Das Einrichten von modernen Routen steckt noch in den Kinderschuhen. Auch in diesem Gebiet ist das Potential unermesslich gross und würde mehr als einen unserer patentierten Routeneröffner zum Träumen bringen. Zur Zeit befinden sich die Übersetzung aus dem Französischen Christine Kopp, Flüelen schönsten eingerichteten Klettergebiete in der Gegend von Canmore und von Lake Louise. Auch die weniger erkundete Umgebung von Banff und von Jasper - hier fehlen einheimische Kletterer - bietet Möglichkeiten. Man stelle sich, damit man sich ein Bild machen kann, ein in der Grösse mit den Engelhörnern vergleichbares Massiv vor, gebe ein bisschen Wellhorn dazu und bestäube das Ganze mit einer grosszügigen Prise Wendenalp. Das Resultat entspricht etwa einer Colin Range oder einer Queen Elizabeth Range. Ausser, dass man die in diesen beiden kanadischen Gebirgsmassiven eröffneten Routen an zwei Händen abzählen kann. Und der Einstieg zu ihren hohen Kalkwänden befindet sich weniger als eine Marschstunde von der Strasse entfernt!

Die Rocky Mountains des nordamerikanischen Kontinents sind die heiligen Stätten einer triumphierenden Natur, der man einen früheren Sieg, bevor die Indianer durch den Blutwahn einer Rasse von Spekulanten und kriegerischen Opportunisten vernichtet wurden, gegönnt hätte. Nichts hätte dann die Erinnerung des Menschen mehr trüben können, und unser Herz würde beim Betreten dieser vom Wind verbrannten, vom Morgentau gesegneten Orte noch stärker schlagen.

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