Auf der Suche nach dem «Hüttenwart-Gen»
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Auf der Suche nach dem «Hüttenwart-Gen» Wissenschaftliche Studie zum Beruf Hüttenwart

Was macht Hüttenwarte in ihrem Beruf zufrieden, und welche Charaktereigenschaften sind dabei ausschlaggebend? Claudia Schiesser hat diesen Fragen ihre Masterarbeit gewidmet und ist zum Schluss gekommen: Authentisch zu sein, ist von zentraler Bedeutung.

Wer wünscht sich keinen verantwortungsvollen Arbeitsplatz in faszinierender Bergwelt? Wenn es aber um eine körperlich anstrengende Tätigkeit mit sehr langen Arbeitszeiten, grosser physischer und psychischer Belastung, eingeschränktem sozialem Umfeld, knappster Privatsphäre und kleinem Verdienst geht, wird die Zahl der Stellenbewerber normalerweise deutlich kleiner. Es gibt eine Ausnahme: Geht es um die Arbeit als Hüttenwartin oder Hüttenwart, leuchten die Augen in breiten Bevölkerungskreisen. Teil der Faszination für Berghütten seien Traditionen, Regeln, Bräuche sowie das gelebte Zusammengehörigkeitsgefühl, hält Claudia Schiesser in ihrer Masterarbeit in Wirtschaftspsychologie fest.

Auf 145 Seiten geht Claudia Schiesser der Frage nach, welche Voraussetzungen es braucht, um in diesem Beruf erfolgreich und glücklich zu sein. Weil bis dato kaum wissenschaftliche Erkenntnisse zur psychischen Belastung eines Hüttenwarts existieren, verweist sie auf Offshoretätigkeiten in der Öl-, Gas- und Windindustrie. Der Vergleich mag auf den ersten Blick erstaunen, aber die Gegenüberstellung von der Arbeit auf hoch gelegenen Hütten und der Beschäftigung in einsamen Offshorewindparks oder auf Ölbohrplattformen auf See ist durchaus berechtigt: Hier und dort gibt es keine geregelten Arbeitszeiten, kaum genaue Tätigkeitsbeschriebe und grundsätzlich extreme Arbeitsbedingungen. Der Arbeits- und Wohnort ist über Monate derselbe, und der geografisch ungewöhnliche Arbeitsplatz ist Teil der besonderen Arbeitsbelastung.

«Das innerliche Zeug zum Hüttenwart»

Ziel der Studie war es, herauszufinden, welche Faktoren Hüttenwartinnen und Hüttenwarten helfen, den vielfältigen Belastungen standzuhalten und den breit gefächerten Erwartungen und Anforderungen auf einer Hütte zu entsprechen. Erkenntnisse, die auch SAC-Sektionen bei der Besetzung von Hüttenwartstellen dienlich sein könnten.Die Studienautorin ist unterdessen als Partnerin des Hüttenwarts auf der Lauteraarhütte SAC selbst im Einsatz. Sie stützt sich bei ihren Schlussfolgerungen auf umfassende Interviews, die sie mit fünf aktiven, selbstständigen und langjährigen Hüttenwartinnen und Hüttenwarten geführt hat. Daraus leitet sie folgende «förderlichen Voraussetzungen» ab: Neben einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung und Selbstmotivation seien auch eine Portion Optimismus sowie eine ausgeprägte Wertehaltung hinsichtlich Ehrlichkeit, Wertschätzung, Achtsamkeit und vor allem Echtheit wichtig. Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung erklärt Claudia Schiesser so: «Die Person muss überzeugt sein, den Weg zum Resultat zu schaffen.»

Gleichzeitig lebe die erfüllende Aufgabe des Hüttenwarts aber auch von der Stimmigkeit in sich: Es sei eine sinnhafte Arbeit, die in einem grösseren Zusammenhang von der Natur beeinflusst und daher im Grundsatz nicht veränderbar sei. Sinnstiftend sei auch die Vorbildfunktion, die ein Hüttenwart in sicherheitsrelevanten Fragen bis zu einem gewissen Grad einnehme und die in der sozialen Welt einer SAC-Hütte Tradition habe. «Wer sich in dieser Rolle wohlfühlt und sich nicht verstellen muss, der hat das innerliche Zeug zum Hüttenwart», ist Claudia Schiesser überzeugt.

Der Schlüssel: authentisch und ehrlich

Was hat die Autorin am meisten überrascht? «Am wichtigsten ist für mich die Einsicht, dass authentische Gastgeber durch ihre Einstellung und ihr positives Selbstverständnis Widerstandsressourcen aufbauen und so die besonderen Belastungen auf einer Hütte leichter ertragen können», erklärt Claudia Schiesser. Das wirke sich auch direkt auf den Kontakt mit den Hüttengästen aus. «Es ist eine Chance und eine Qualität zugleich, wenn man als Chef auf der Hütte keine Rolle spielen, sondern in der Verantwortung authentisch und echt sein kann», sagt sie. Die Fähigkeit und der Wille, als Hüttenwart «authentisch und ehrlich» zu sein, sei der Schlüssel, um schwierige Situationen auf der Hütte länger zu ertragen, Lösungen zu erarbeiten und schliesslich zufrieden und erfolgreich zu sein.

Das gilt grundsätzlich für alle drei in der Studie charakterisierten Hüttenwarttypen. Am wenigsten wohl für den Typus Gastgeber in sehr grossen Hütten, der zunehmend die Rolle als Manager innehat und hauptsächlich Koordinationsaufgaben erfüllt. Er habe eine gewisse Distanz zur Hütte. Am wichtigsten sei die genannte Fähigkeit für die Kategorie der Selbstständigen, die überall selbst Hand anlegen, die Nähe zu den Gästen suchen und sich nach ihnen ausrichten. Vom dritten Typ, dem Original, das das Ursprüngliche behalten und dem Neuen trotzen will, gebe es immer weniger. «Aber alle drei sind dem Wandel der Hütten unterworfen», bilanziert Claudia Schiesser in ihrer Studie.

Ungebremstes Interesse seit zehn Jahren

Um zukünftige Hüttengastgeber auf ihre anspruchsvolle Tätigkeit vorzubereiten, bietet der SAC seit 2009 zusammen mit der Hüttenwartvereinigung Schweizer Hütten einen Ausbildungskurs an. Die Teilnehmenden kommen aus den verschiedensten Berufsrichtungen und müssen vorgängig zwei praktische Arbeitseinsätze von zwei aufeinanderfolgenden Wochen auf einer Hütte absolviert haben. «Die Lebensgeschichten der Teilnehmenden könnten unterschiedlicher nicht sein. Es fasziniert mich, wie Köchinnen, Krankenpfleger, Buchhalterinnen und Mechaniker im Hüttenwartkurs aufeinander zugehen und gegenseitig voneinander profitieren», sagt Kursleiter Martin Imhof. Zudem seien die Teilnehmenden immer extrem motiviert und ausnahmslos an grosser Selbstständigkeit in einem speziellen Umfeld interessiert. Der Kurs umfasst fünf dreitägige Module und wird von den meisten SAC-Sektionen für die Übernahme einer Hütte vorausgesetzt. Die Kurse sind jeweils früh ausgebucht. Nächste Anmeldungen sind für den Start im Jahr 2020 möglich. Etwa ein Drittel der Absolventen übernimmt später auch wirklich eine Hütte.

www.sac-cas.ch · www.schweizer-huetten.ch

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