Andere Sichtweisen Bündner Künstlerpaar gewinnt SAC-Kunstpreis
Gabriela Gerber und Lukas Bardill verdichten mit ihren Fotografien, Zeichnungen und Videos die unterschiedlichen Realitäten der Bergwelt – von der Bauernarbeit bis hin zum Rotorenlärm.
Weder leuchtende Berggipfel noch dramatische Wolkengebirge, weder skulpturale Felsschründe noch glitzernde Bergseen: Die Bergbilder des in Schiers lebenden Künstlerpaars Gabriela Gerber und Lukas Bardill zeigen eine andere (Vor-)Alpenwelt. Seit 1997 arbeiten die zwei zusammen. Geboren 1970 und 1968 sind sie beide im Bündnerland aufgewachsen und kennen die Landschaft, in und mit der sie arbeiten. Sie durchstreifen sie immer wieder, und zwar stets zu Fuss. So sammeln sie Eindrücke und entdecken sonst meist übersehene Szenerien. Daraus formen und animieren, inszenieren und choreografieren sie ihre Bilder – absolut verdichtete Fotografien, Videos und Zeichnungen.
Inmitten der Landschaft
In einem Interview in der Zeitschrift Kunstbulletin haben Gabriela Gerber und Lukas Bardill einmal den Antrieb zu ihrer künstlerischen Arbeit und damit zugleich auch ihre eigenständige Ästhetik formuliert: «Wir wollen nicht neue Bilder von Landschaften machen, sondern vielmehr untersuchen, was wir beim Betrachter auslösen, wenn eine Arbeit mit Landschaft zu tun hat. Wir fragen: Wie viel Landschaft müssen wir ins Bild setzen, dass das Nachdenken darüber initiiert wird? Was ist überhaupt ein zeitgenössisches Landschaftsbild? Wie verändert es sich, wie wird es zerstört? Immer wieder fragen wir uns, wie man den Begriff Landschaft künstlerisch umsetzen kann.»
Eben dies meint ja das Wort Ästhetik ursprünglich: Wie sehen wir, wie nehmen wir wahr, wie schaffen wir uns ein Bild von der Welt, in der wir uns befinden? So ist die Kunst von Gabriela Gerber und Lukas Bardill eine fragende Kunst, die über das, was sie unmittelbar zeigt, weit hinausgeht – nicht plakativ, sondern mit Behutsamkeit. Auf diese Art öffnet das Künstlerpaar neue Sichtweisen auf das Hier und Heute und legt so mit seinen Bergbildern Spuren ins Existenzielle und ins Gesellschaftliche.
Spuren im Dunkeln
Ein dicht bewaldeter Hang am Landquartberg. Der Weg, der dort einmal hinausgeführt hat – wohl ein Holzweg –, ist verwachsen. Die Landschaft, die fast überall immer auch Spuren der Kultur aufweist, hat sich verändert. Das Künstlerpaar suchte hier während mehrerer Monate nach dem verschwundenen Weg. Des Nachts, als absolut kein Mondesschimmer zu sehen war, stieg Lukas Bardill mit einem Licht den Weg hinauf, Gabriela Gerber nahm diesen Lichtgang von Weitem mit dem Fotoapparat auf. Durch die Langzeitbelichtung zeichnete sich die Lichtspur im Dunkeln ab – gewissermassen als Lichtweg. Diese Nachtperformance haben sie mehrere Male wiederholt, sodass nun eine Serie von neun Fotografien vorliegt, die die Wegsuche, die geschwungenen Linien der Hangbesteigung, wiedergeben. Das wirkt fast gespenster- oder märchenhaft. Die Bilder sind jedoch über die topografische Begebenheit hinaus als Metapher zu lesen, als Bilder einer langwierigen Suche, einer Spurung im Dunkeln, Unbekannten, verbunden mit etwelcher Mühsal, an deren Ende sich doch noch Licht zeigt. Diese Bedeutung ergibt sich auch aus der Schönheit der Bilder, die wie mit leichter Hand gemacht erscheinen.
Bergheuet und Berggipfel
Die Videoarbeit Partnun ist ebenfalls eine Langzeitaufnahme. Sie zeigt – wiederum äusserst verdichtet – die Heuet in der Gebirgszone 4, wo das Gras wegen der Versamung der Gräser und Blumen erst ab dem 15. Juli gemäht werden darf. Der nur anderthalb Minuten lange Videoloop zeigt alle Arbeitsschritte, die während eines ganzen Monats erfolgen: das Mähen am steilen Hang, das Zusammenrechen, die Heuballen, das Einbringen des Heus. In der Bildchoreografie wuseln Menschen und Landwirtschaftsmaschinen durch die Landschaft – ein eindringlich-leichtes Bild der knochenharten Kulturarbeit der Bergbäuerinnen und -bauern.
Sind diese existenziell mit dem Boden verbunden, so fliegen die Herrschaften des WEF und ihr Gefolge mit unzähligen Helikoptern an das Gipfeltreffen in Davos. Das dokumentieren zwei Videoarbeiten (2000 und 2019). Darauf sind die während Tagen erfolgten Flugbewegungen kondensiert. Was zuerst wie ein beschwingtes Luftballett daherkommt, wird immer bedrohlicher, wirkt mehr und mehr wie ein unaufhörlicher Schwarm von unheimlich schwirrenden Vögeln oder gefrässigen Heuschrecken. Und der Lärm der Motoren und Rotoren verwandelt sich in der Verdichtung zu einer penetranten Geräuschkulisse, die sich unangenehm im Ohr festsetzt. Auch das ist die Realität der hehren Bergwelt.