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Am Kärpf ziehen Mensch und Tier ihre Spuren Routennetz im Jagdbanngebiet Kärpf
Im Glarner Jagdbanngebiet Kärpf wurde das Schneesportroutennetz überarbeitet. Dank einem vorbildlichen Prozess sind Berggänger und Naturschützer mit dem Resultat zufrieden. Die letzte Hürde ist die breite Akzeptanz: Schneesportler müssen sich daran halten.
«Weite Ebenen zwischen Wald und Fels, Nischen und Tobeln, Höhlen und Bächen - kein Wunder ist der Freiberg Kärpf im eher engen Glarnerland von jeher ein bevorzugtes Wildeinstandsgebiet.» So beginnt der Schneeschuhtourentipp Streifzug im Wildschutzreservat, der vor einigen Jahren in dieser Zeitschrift erschienen ist. Die Vielfältigkeit der Landschaft macht das Gebiet aber auch zu einem «Skitourengebiet par excellence», wie in einem Sonderheft zum Glarnerland einmal festgehalten wurde.
Die Rede ist vom Jagdbanngebiet Kärpf. Sein Perimeter umfasst das ganze Gebiet zwischen dem Sernftal und dem Linthal und reicht von Schwanden auf rund 500 Metern bis hinauf zu Hausstock und Ruchi auf über 3000 Metern. Bereits im Jahr 1548 errichtet, ist es eines der ältesten Wildschutzgebiete Europas. Mit einer Fläche von 106 Quadratkilometern ist es zudem eines der grössten Jagdbanngebiete in der Schweiz.
Beliebt bei Schneesportlern
Jagdbanngebiete dienten ursprünglich dem Schutz der im 19. Jahrhundert fast ausgerotteten wilden Huftiere vor übermässiger Bejagung. «Ihr Bestand hat sich dank diesem Schutz erholt und ist inzwischen trotz parallel angestiegenen naturnahen Schneesportaktivitäten so hoch, dass sie teilweise auch in Jagdbanngebieten bejagt werden müssen», sagt Jutta Gubler, Fachleiterin Freier Zugang und Naturschutz beim SAC. Heute rücke der Schutz seltener und bedrohter wild lebender Säugetiere und Vögel in den Vordergrund. Viele Wildtiere sind im Winter auf Rückzugsgebiete angewiesen. «Jede regelmässig begangene Route verkleinert den Lebensraum der Tiere», sagt Barbara Fierz von Pro Natura Glarus. Einige Tiere würden sich auch in Gebiete zurückziehen, wo das Nahrungsangebot schlechter sei.
Auch das Jagdbanngebiet Kärpf ist im Winter gut besucht. Der Chli Chärpf (2699 m) zum Beispiel gilt gemäss SAC-Tourenportal als «einer der wohl bekanntesten Skitourenberge im Glarnerland». «Es gibt hier diverse schöne Ausflugsziele», sagt Marc Autenrieth, Wintertourenchef beim SAC Tödi. Das Skigebiet Elm und die Seilbahn Kies–Mettmen liegen im Schutzgebiet, und auch die Leglerhütte SAC ist ein beliebtes Ziel. Seit 2012 dürfen Schneesportarten in den Jagdbanngebieten nur noch auf den Routen der swisstopo-Schneesportkarten ausgeübt werden. «Schweizweit wurde dadurch in den Jagdbanngebieten ein Viertel aller Skitourenrouten, die in der SAC-Führerliteratur beschrieben sind, auf einen Schlag verboten, auch viele traditionelle und anspruchsvolle Routen, die zwecks Besucherlenkung bewusst nicht auf den swisstopo-Schneesportkarten eingezeichnet waren», sagt Jutta Gubler. Das seit 2012 im Kärpf gültige Routennetz hat der Kanton Glarus nun zusammen mit Interessengruppen in einem dreijährigen Prozess bereinigt und schliesslich verfügt. Das neue Routennetz gilt seit Ende Januar.
Anlass für die Überarbeitung war für Christoph Jäggi, Abteilungsleiter Jagd und Fischerei des Kantons Glarus, dass vonseiten des SAC und der Bergführer in der Vergangenheit zusätzliche Routen im Jagdbanngebiet Kärpf verlangt worden waren. Der SAC setze sich seit mehreren Jahren für eine verhältnismässigere Regelung des Routengebots in den Jagdbanngebieten ein, sagt Jutta Gubler. Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli forderte 2017 im Parlament, dass in Jagdbanngebieten traditionelle, heute nicht mehr erlaubte Routen geprüft und wieder berücksichtigt werden. Im Kanton Glarus kommt hinzu, dass fast ein Drittel seiner Fläche Wildschutzgebiete sind. In einem Memorialsantrag wurde gefordert, die Fläche zu verkleinern. Im kantonalen Jagdgesetz ist nun verankert, dass Bevölkerung und Interessenverbände bei der Schaffung von Schutzgebieten mit einbezogen werden müssen. «Es war von Anfang an klar, dass ich nicht nur mit den Nutzern zusammensitze, sondern dass auch die Schützer mit am Tisch sein müssen», sagt Christoph Jäggi. Entsprechend breit wurde eingeladen: Vom SAC Tödi über den Glarner Bergführerverband, die Gemeinde und das Seilbahnunternehmen bis hin zu Pro Natura und zum Glarner Natur- und Vogelschutzverein konnten alle mitreden.
Die Daten gemeinsam erhoben
Dass die Geschichte hier – im Gegensatz zu anderen Orten – geglückt ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Datengrundlagen wurden gemeinsam erarbeitet. So mussten die Lebensräume der Wildtiere und die Frequentierung auf den einzelnen Routen festgestellt werden. Jede Interessengruppe konnte ihre Einschätzungen eingeben. «Interessanterweise haben die Nutzer die Kernlebensräume der Tiere grösser eingeschätzt als die Wildhüter», sagt Christoph Jäggi. Marc Autenrieth vom SAC Tödi bestätigt und fügt an: «Man hätte sagen können: Jetzt nehmen wir einfach den Schnitt. Kanton und Begleitgruppe entschieden sich aber dafür, die professionelle Einschätzung der Wildhüter als Grundlage zu verwenden.» Das sei dem Tourenwesen entgegengekommen und habe gegenseitiges Vertrauen geschaffen. Zudem wurde versucht, die Einschätzung der Frequenzen mit Fotofallen oder mit der Auswertung von Gipfelbüchern zu überprüfen. «Die von Wildhütern und Bergsportlern ähnlich eingeschätzten Frequenzen konnten aufgrund dieser Daten bestätigt werden», sagt der Wintertourenchef. Aber nicht nur die Datengrundlage wurde gemeinsam erhoben, auch die Methodik hat man vorgängig diskutiert und angepasst. «Es war ein vorbildlicher, partizipativer und ergebnisoffener Prozess», sagt Marc Autenrieth.
Um die wissenschaftlichen Arbeiten kümmerte sich eine Forschungsgruppe der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Die ZHAW übernahm zudem die Moderation. Neben den traditionellen, nicht mehr erlaubten Routen gab es auch noch einen «Wildwuchs bei den Schneeschuhrouten», sagt Marc Autenrieth. Diese inoffiziellen Routen wurden zum Teil mitbeurteilt, und es gab Verhandlungen darüber, welche zusätzlich ins Routennetz aufgenommen werden und welche nicht. Für Jutta Gubler ist es wichtig, dass bei der Beurteilung der Routen der Artenschutz im Vordergrund stand. «Es zeigte sich ein breiter Konsens darüber, dass zum Beispiel die Auerhühner stärker auf Schutz angewiesen sind als wilde Huftiere», sagt sie.
Mit dem Resultat sind die Beteiligten zufrieden. «Es ist gut, dass das Thema der inoffiziellen Routen offen angesprochen wurde», sagt Barbara Fierz von Pro Natura Glarus. Tatsächlich wurden zusätzliche Verbindungen und Routenabschnitte – zum Teil nur im Aufstieg – ins Routennetz aufgenommen. Aber es sind auch Routen rausgefallen. «Das Routennetz ist sehr dicht; im Vergleich zu anderen Jagdbanngebieten ist hier viel möglich», sagt Marc Autenrieth.
Glarner Persönlichkeiten
Die letzte Hürde ist nun die breite Akzeptanz bei den Schneesportlern. «Das Resultat muss von allen getragen und auch so gegen aussen kommuniziert werden», sagt Jagdvorsteher Christoph Jäggi. Eine Kampagne mit bekannten Glarner Persönlichkeiten soll dazu beitragen, dass sich die Leute ans neue Routennetz halten. Die Plakate mit ihren Porträts und Zitaten sollen bei den Bergbahnen, im Bus, in den Restaurants oder in Sportgeschäften aufliegen. «Man muss die alten Zöpfe abschneiden; das wird das Schwierigste», sagt Marc Autenrieth. Das heisst, ein Teil der bisher begangenen inoffiziellen Routen ist nun definitiv verboten. Darauf wird auch Barbara Fierz ein Auge halten. «Der Vollzug ist wichtig», sagt sie. Sie werde sich dafür einsetzen, dass man in zwei, drei Jahren wieder zusammenkomme, um eine Bilanz zu ziehen.