Alpinisten-Trekking in Nepal
Alex. v. Wandau, Wien Bei Bergsteigern weckt das Wort Himalaya leicht die Vorstellung von « kostspieligen Expeditionen alpinistischer Super-Stars » usw. Aber langsam beginnt es sich herumzusprechen, dass der Himalya, soweit in Nepal gelegen, auch ein wunderbares Wandergebiet für minderehrgeizige ( und minderbemittelte ) Bergsteiger ist. Dieses Gebirge, höchstens 600000 Jahre alt und jünger als die Alpen, ist als Kettengebirge aus einer Senke vor dem alten tibetischen Sockel entstanden. Die von dort südwärts fliessenden Gewässer liessen sich durch die Auffaltung nicht abdrängen; sie « durchbrechen » jetzt den Himalaya in engen Tälern. Ihnen folgen vielfach die Wege aus dem fruchtbaren nepalesischen Mittelland nach Tibet—China hinüber, und bunt beladene Menschen und Tiere kann man auf ihnen emsig dahinschreiten sehen. Auf diesen Pfaden trifft man -ebenfalls unbelehrt durch die neue nepalesische Landkarte i :62 000 ( Staatsgeheimnisauch hippy-artige Leute, Langmähnige mit wenig Gepäck. Ohne eigenes Zelt müssen sie in den kalten Nächten wohl mit den Behausungen der Nepaler vorliebnehmen. Letztere gelten als immer gutgelaunte, kontaktfreudige Menschen, doch dürften ihre Mitbewohner aus der Insektenklasse noch viel kontaktfreudiger sein. Wesentlich angenehmer ist die Organisation der Reise durch ein einheimisches Büro: Träger, Zelte und alles Zubehör wird bereitgestellt!
Das nepalische Einreisevisum berechtigt nur zum Besuch von Kathmandu und Pokhara. Für eine Wanderung ins Gebirge ( Fahrstrassen gibt es hier — o Wunderland! -noch nicht ) braucht man eine eigene Erlaubnis, einen sogenannten Trek-king-Pass, in welchem die wichtigen Stationen der geplanten Wanderstrecke aufgeführt sind. Eventuelle Rösselsprünge in deren Anordnung deuten vielleicht auf ungefestigte Landeskunde bei der Obrigkeit. Das Trekking-Permit wird unterwegs wiederholt von der Polizei kontrolliert. An der Route liegende Berge bis zu 6000 Meter kann man « mitnehmen ». Sie werden nicht, wie die höheren, von der Regierung besonders verkauft. Manche Gebiete Nepals sind den Touristen überhaupt verschlossen. Einen etwas dunklen Punkt, in welchen die Gerüchtemacher Licht bringen wollen, bildet die Behauptung, hier gebe es von den Chinesen aus Tibet nach Nepal vertriebene Räuberbanden, etwa die schon von Sven Hedin genannten Kampas, die jetzt von den USA — freilich in Verkennung der Lage — als Antikom-munisten angeworben worden seien. Geld und Waffentransporte der USA werden von Krimi-legenden umrankt, deren Wahrheitsgehalt Land-fremde nicht erraten können. Die königliche Regierung, auf günstige Handelsbeziehungen mit China ebenso wie auf Freundschaft mit der « freien » Welt angewiesen, betreibt anscheinend eine Schaukelpolitik. Von der tibetischen Grenze nach Kathmandu, Nepals Hauptstadt, unterhalten die Chinesen eine von ihnen gebaute Militärstrasse, während von der anderen Seite allerlei Wirtschaftshilfe ins Land fliesst.
Aber zurück zur Trekking-Erlaubnis! Alle Bergsteiger, die das erste Mal in den Himalaya gehen, wollen zumindest einem der berühmten Achttausender in die Nähe rücken. Weg und Ziel der Wanderung kann man beliebig proponieren, aber in der Praxis haben sich gewisse Routen als bevorzugt erwiesen, so jene zum Mount Everest. Sie erfordert einen i6tägigen Anmarsch, welcher sich entscheidend kürzen liesse, wenn eine verlässliche Flugverbindung von Kathmandu nach Lukla bestünde. Man denkt an das Einsetzen von Kleinflugzeugen. Es waren solche bereits auf mehreren Linien im Dienst; angeblich sind aber alle abgestürzt. Ich selbst sah das Wrack eines zwölfsitzigen Pilatus-Porters bei Jhomson ( nahe der Tibetgrenze ) im Sand liegen. Der Mount Everest liegt im Gebiet der Sherpa, eines der vielen Volksstämme, die das heutige Nepal besiedeln. Man unterscheidet hier altnepalische, indische und tibetische Gruppen. Die Sherpa gehören zu den letzteren. Nach ihrem Namen zu schliessen, sind sie einmal aus Ost-Tibet eingewandert. Ihre hervorragenden Charaktereigenschaften und ihre Gebirgskenntnisse haben sie schon seit den zwanziger Jahren als Hochträger berühmt gemacht. Derzeit wird ein grösseres Trekking mit bergsteigerischen Zielen in Nepal auf die Mithilfe der Sherpa kaum verzichten. Sie wissen um die unkenntlichsten Wegabzweigun-gen, die verstecktesten Lagerplätze, besorgen Lebensmittel unterwegs, halten ein wachsames Auge auf die Trekking-Teilnehmer und erraten, wo sich einer verlaufen haben könnte.
Meine erste Bekannschaft mit ihnen erfolgt am Flugplatz von Pokhara, einem grossen Dorf, 150 Kilometer Luftlinie nordwestlich von Kathmandu. Der Flugplatz hat eine Hartgrasfläche, wo das Flugzeug der Nepal Airlines ( Innenausstattung nach der Art eines ehemaligen Zugabteils 4. Klasse ) gut aufsetzen kann. Den Flugplatz, ausser der Gepäckwaage ohne Gebäude, beäugen die Einheimischen erwartungsvoll. Während des Fluges haben wir nach der Annapurna, dem berühmten ersten Achttausender, und nach dem Nepaler Matterhorn « Machhapuchhare », 6ggg Meter, ausgespäht, denn dieser « Fischschwanz » erhebt sich, die Annapurna etwas zurückdrän-gend, 6000 Meter über Pokhara — eine wohl einmalige relative Höhe. Jetzt begrüsst dessen Erstbezwinger, der englische Oberstleutnant a. D. J. O. Roberts, am Flugplatz den Leiter unserer Trekking-Gesellschaft, Hermann Köllensper- ger, als alten Himalaya-Gefährten. Ich beobachte, wie er ihm sogleich die io Sherpa vorstellt, die er im Auftrag des Sporthauses Schuster, München, engagiert hat. Einer von ihnen ist Angse-ring, der mit Diemberger als erster am Dhaulagiri, 8172 Meter, war. Ihre Gesichter sind vorerst schwer auseinanderzuhalten. Aber es gibt da noch andere Merkmale, die sich ebenso unveränderlich als zum Menschen gehörig erweisen: z.B. blaue Kappe, rotes Halstuch u.a. m. Der Augenblick der Lastenverteilung auf die angeworbenen 40 einheimischen Träger ist gekommen — in vielen Expeditionsberichten als kritischer Moment beschrieben. Die Organisation Colonel Roberts scheint aber Heinzelmännchenarbeit zu verrichten. Kaum sind die Seesäcke unserer 20 Reiseteilnehmer auf die Landepiste abgeladen, sind sie auch schon in Richtung Henja entschwunden; Henja heisst das Dorf, in dessen Nähe unser erstes Zeltlager geplant ist.
Unterdessen wandern wir ( 20 Bergsteiger, z.T. Holländer ), auf vorerst breiter Strasse an steine-klopfenden Frauen und hässlichen Baracken, den Vorboten europäischer « Kultur », vorbei zum Phewa-Tal-See; es ist dies ein « Alpenrand»-See, 800 Meter hoch gelegen, mit berühmtem Blick auf die Siebentausender der Annapurna-Kette. Doch jetzt ist bald Mittag, und die Berge verschleiern sich wie üblich zu dieser Tageszeit. Das kalte Wasser des Sees - wir schreiben anfangs Februar - lädt nicht zum Baden ein; eindrücklich ist dafür die Prozession gläubiger Hindus in richtigen Einbaumbooten zu dem Tempelchen auf der kleinen Insel im See, mit geheimnisvollen Lichtern, merkwürdigen Speisen und Darbringung bunter Blumen. Auf dem Weiterweg nach Henja lässt sich erstaunlich viel beobachten, was wir an bodenständiger Folklore vorzufinden uns nicht hätten träumen lassen. Mancherlei Begegnung ist zu verzeichnen. Herzige hellbraune Schulkinder auf dem Heimweg von der Schule wollen uns ihre bebilderten Bücher erklären. Einer Frau missfällt mein offenes Nylonhemd; sie will es zuknöpfen. Sie selbst trägt eine oben ge- schlossene Jacke, die Bauch und Nabel frei lässt. Auch die Kinder, meist « unten ohne », tragen « oben » ein Jäckchen.
Jenseits Henja beginnt bald der Ernst des Bergsteigens. Zunächst noch ein staubiger Weg, vereinzelt ein zweirädriges Ochsengespann mit klotzigen Holzrädern - und sogar ein Kombi « wackelt » zur Teeschenke in den stoppeligen Reisfeldern. Letztere verlassen wir nach der Lunchpause auf steilem Steintreppenweg. Eine Pferdekarawane turnt mit uns hinauf neben Bar-füssigen aller nepalesischen Rassen. Wir sind auf dem Weg ins Tal des grossen Kali-Gandaki-Flus-ses. Dieses beginnt an der tibetischen Grenze, einen der sechs grossen Karawanenwege Nepals darstellend, als ein wichtiges Durchbruchstal des Himalaya.
Die Nepaler Bauern — grundsätzlich Selbstversorger - sind, was das lebenswichtige Salz anbelangt, vom Ausland abhängig. Zumindest ein bäuerliches Familienmitglied macht sich einmal im Jahr, sonntäglich angezogen, die Frauen mit ihrem traditionellen Schmuck behangen, auf den Weg, um an der indischen - früher auch an der tibetischen - Grenze eigene Produkte gegen Salz einzutauschen. Der verdiente Schweizer Nepal-forscher Toni Hagen hat berechnet, dass auf jeder der sechs Hauptrouten rund 300 000 Menschen während der vier Wintermonate von Süd nach Nord und umgekehrt wandern. Sie sind bis zu acht Wochen unterwegs!
Wir müssen in fünf Tagen ( ab Pokhara ) zwei hohe Pässe überschreiten ( rund i 700 Meter Höhenunterschied ), um zum Kali Gandaki zu gelangen. Dabei beobachten wir verschiedene Haus- und Siedlungsformen. Aus dem Wohngebiet der Newar bei Pokhara kommend, einer alt-nepalischen Volksgruppe, welche Backsteinbau-ten mit Holzfachwerk und charakteristischen Fenstern entwickelt hat, sehen wir in der Heimat der stark mongoloiden Gurung ( an der Südflanke der Annapurnagruppe ) schiefergedeckte Häuser aus sauber gearbeiteten Trockenmauern mit oft elliptischem Grundriss. Immer wieder überra- schen mich die grossen Dörfer an den Steilhängen inmitten von Mais- und Hirsefeldern, von wo aus die Gurung ihre Reisfelder in der Talsohle bewirtschaften. Im Nachbarkultur-Gebiet bestechen die Thakali, welche der tibetischen Rasse angehören, durch ihre stattlichen Wohnbauten mit Flachdächern und weiten Innenhöfen — ein Hinweis auf Wohlhabenheit und trockeneres Klima.
Als landschaftlicher Höhepunkt ist uns der Ghorapani-Pass, 2885 Meter, versprochen worden. Ein für europäische Begriffe endloses Fla-schenhalstal vermittelt den Zugang. Aber in 2300 Meter Höhe nimmt die Steigung ab, das matte Braungrau der im kalten Winter verdorrten Hänge weicht freundlicheren Farben. Unterholz-reicher Eichen-Mischwald empfängt uns. Immer weniger steinig wird der Weg, und wir wechseln hinein in feuchten Koniferenwald, der die Zone um 3000 Meter beherrscht ( bis ihn der unsinnige Raubbau der konzessionierten indischen « Con-tractors » ruiniert haben wird ). Wer von uns denkt aber an « verheerenden Raubbau » beim Anblick der feurigroten Rhododendronblüten? Bis zu 20 Meter hohe Exemplare des Rhododendron arboreum bescheren - obgleich im Februar noch nicht voll erblüht - ein einmaliges Blütenwunder. Da stört auch nicht, dass sich das Wetter trübt; doch nachdem bei minus 6 Grad das Lager unterhalb des Passes aufgestellt worden ist, macht auch das abendliche Lagerfeuer keinen Mords-spass.
Am nächsten Morgen - wolkenlosschlinge ich rasch das Porridge hinunter, das unser braver Sherpakoch täglich ins Zelt bringt, und eile zum Ghoropani-Pass, wo eine Waldlichtung ein unerhörtes Panorama freigibt, umglänzt von den ersten Sonnenstrahlen. Auf wenige Kilometer Entfernung in der Luftlinie: rechts der Annapurna-Südgipfel, dessen blendendes Weiss den grünen Vordergrund durchleuchtet, geradeaus der Dhaulagiri, zehn Jahre später als die Annapurna ( 8091 m ) von Schweizern im Jahre 1960 erstiegen, aber noch immer der König unter seinen zahlreichen Trabanten, denen er seinen dreieckigen Eisschild zukehrt. Man glaubt fast 7000 Meter zu überblicken: vom Gipfel hinunter zum Kali Gandaki, dessen eigentliches Schluchtbett allerdings von einigen Getreideterrassen verdeckt ist. Über diese steigen wir nun hinab - von Was-serbüffeln dumm angeglotzt - nach Tatopani ( « heisses Wasser » ), 1162 Meter; am Ende des Dorfes dampfen warme Schwefelquellen. Wer von uns eine Badehose mit hat, kann darin plan-schen. Ein zweites Vergnügen: riesengrosse Orangen wachsen hier und werden von den Thakalis mit Vergnügen verkauft.
Die nächsten Tage halten wir uns am Kali Gandaki nordwärts. Wiederholt geht 's über steile Böschungen hinunter und wieder hinauf, über solide Brücken, dank Schweizer Hilfe. Die romantischen Hängebrücken aus Baumrinde und Bast gehören der Vergangenheit an. Wechsel auch in der Vegetation. Schon am ersten Tag steigen wir wieder auf 2000 Meter Höhe ab Tatopani und sind damit aus der tropischen in die alpine Zone gelangt.
Auf dem Rückweg, acht Tage später, legte ich diese Strecke auf dem Rücken eines braunen Hengstes zurück. Da wurde ich erst richtig gewahr, wie hoch und steil die bewaldete Talstufe und wie schmal der Pfad über dem Abgrund zum Fluss hinunter ist.
Aus einer Karawane sah ich ein Pferd abstürzen. Zu meinem grossen Erstaunen kam es durch das laute Geschrei der Treiber wieder auf die Beine. Es handelte sich angeblich um Pferde, die das halbsouveräne Fürstentum an der tibetischen Grenze als Tribut abliefert. Die Treiber sind den Tibetern verwandte Bhotiya. Jeder zweite von ihnen wollte uns unverständigen Europäern tibetische Kalendermünzen und Gebetsmühlen andrehen. Wir feilschten aufs Geratewohl mit den bezopften Leutchen. Wer weiss, ob die Gebetsmühle nicht wertlos ist, wenn innen die Gebete nicht ordentlich auf Papier geschrieben sind.
Nach einer weitern Talstufe ( 2540 Meter ) nimmt uns ein wunderbarer Kiefernwald auf und lädt zum Lagern ein. Mein Zelt haben die Sherpa so aufgestellt, dass der Dhaulagiri hineingucken kann. Lawinen donnern am grossen Südostgletscher nieder, der M. Herzog 1950 zurückwies, so dass er sein Glück an der Annapurna auf der anderen Talseite suchte. Dieser Berg erscheint aber weniger eindrucksvoll. Es ist ihm ein 4000 Meter hoher Bergrücken vorgelagert, der geologisch an die Zentralalpen erinnert. Man sollte einen Tag darauf verwenden, auf diesen Miristi-Khola-Rücken hinaufzusteigen, wo sich ein guter Einblick in die Annapurna-Westseite mit der Anstiegsroute und auf den Dhaulagiri mit dem grossen Eisfall seiner Ostflanke gewinnen lässt.
Für uns steht allerdings ein Fünftausender, der White Peak, 5262 Meter, despektierlich gesagt, eine Rückfallkuppe im Ost-Sporn des Dhaulagiri, zur Diskussion. Von unten betrachtet, sieht er freilich sehr alpin aus. Ausgedehnte Schnee- und Firnfelder?... Wir hoffen, am Tilicho-Pass bequemer einen noch höheren Gipfel mit umfassenderer Aussicht zu gewinnen. Dort wären wir bereits am Nordfuss des Himalaya, wo weniger Schnee liegt und das Wetter beständiger ist.
Leider sollten wir nur die erstere Annahme bestätigt finden. Wir wandern zunächst im breiten Flussbett, das bis hoch hinauf aus Konglomeraten und Breccie gebildet ist, durchwaten den mäan-derförmigen Fluss, der in der Monsunzeit den Talweg sperrt. Auf der erhöhten rechten Talseite liegen drei grosse Ortschaften, deren Häuser zum Teil mit reichen Holzschnitzereien geziert sind. Am Eingang Gebetswimpel und Tschorten. Ein freundlicher Thakali öffnet uns eines der lamai-stischen Heiligtümer: prächtig geschnitzte Bud-dha-Statuen, tibetische religiöse Rollgemälde, sogenannte Thankas! Ich hatte die Museen in Kathmandu und Bhatgaon besucht und glaube nicht, mit bloss provinzieller Kunst konfrontiert worden zu sein.
Die vor uns liegende Gegend wird immer sandiger und trockener. Die grossen Eisberge stehen nun im Süden. Yak-Herden kommen uns entgegen. Es sind wahrscheinlich Zopkis, die Mischlinge aus Yak und Nepalrind, die als ungewöhnlich genügsam gelten. Tatsächlich: sie knabbern an den Hartgras-Stummeln!
Nachts stehen unsere Zelte in einer ungedeck-ten Karawanserei in Jhomson, 27 z o Meter. Weiter nach Norden dürfen wir nicht. Die Regierung hat den Weg nach Muktinath, dem berühmten Kloster, zwölf Meilen von Jhomson, verboten. Alpinistisch bedeutet dies keine Einbusse, denn lohnende Bergziele gibt es noch westlich und östlich von Jhomson. Da sind einmal die Fünftausender im Bereich des Dhampus-Passes ( eine prächtige Rundtour könnte man von Dhorpatan aus - hierher mit einem Pilatus-Porter -, das ganze Dhaulagiri-Massiv umkreisend, unternehmen, um dann in Jhomson wieder auf die Karawanen-route zu stossen ), und da ist das Lanpo-Ghun-Tal, südöstlich von Jhomson, zum Tilicho-Pass, 5460 Meter.
Nachdem die Grenzpolizei unsere Trekking-Pässe umständlich geprüft und registriert hat, können wir losziehen. Oberhalb Jhomson, in dieser Sandsteinwüste, am ehesten noch als Handelsplatz zu verstehen, liegt ein Thakali-Dorf mit munteren Gebetsfahnen auf den flachen Dächern; dann aber führt überraschend ein vorzüglicher Almpfad am Rand des tiefeingeschnittenen Baches aufwärts. Hartlaubgebüsche und einzelne Bäume beleben den Vordergrund, während weiter im Südwesten der Dhaulagiri als schöner Dreikant immer höher emporwächst. Im Vordergrund die « Grande Barrière »; das ist jene gewaltige Mauer von Siebentausendern, die sich von der Annapurna nach Nordwesten loslöst. Wir sehen imposante Hängegletscher, aber keinen Talgletscher; dafür ist die Gegend zu trocken, soll doch hier noch im April und Mai, wenn schon die Südseite der Annapurna-Kette in dauerndem Niesel-nebel steckt ( Vorbote des Sommer-Monsuns ), meist sonniges Wetter herrschen. Auch bei uns scheint heute die Sonne. Leider ist der angestrebte Gipfel noch weit: zweieinhalb Tagesmärsche.
Ein Lager auf 4000 Meter ( Yakweide ), ein zweites auf 4600 Meter, letzteres dort, wo eine Eiszunge, wie ein Tatzelwurm aus einer Schlucht her-vorkriechend, Wasserentnahme gestattet. In der Nacht wird es minus 15 Grad; wir schlafen angezogen. Hermann Köllensperger vermochte die Sherpa nicht zu bewegen, das Lager höher oben aufzustellen. Dies sollte sich leider rächen.
Zwar brechen wir zeitig auf; aber es sind über tausend Höhenmeter zu bewältigen. Obschon das Gelände nicht sehr steil und im wesentlichen schneefrei ist, machen sich bei uns Unpässlichkei-ten bemerkbar. Ein junger Mann klagt über Übelkeit; unserer Ärztin geht auf 5200 Meter die Luft aus; sogar unser bewährter « Vorläufer » aus der Steiermark fällt zurück. Auch ich benütze auf 5200 Meter Höhe eine begraste Stelle zum Ausruhen. Dann aber bin ich überraschenderweise so frisch wie am Morgen; doch leider senken sich die Wolken immer tiefer und schwärzer herab.
Am Tilicho-Pass angelangt, ahnt man zwar den grossen Eissee jenseits in der Tiefe und die gewaltig aufstrebende « Grande Barrière » mit der Ganga Puma, 7453 Meter, als Eckpfeiler - hier sogar eine Art Talgletscher-, aber die letzten z 180 Meter bis zu unserem 5639 Meter hohen Thini Peak stecken in einer « Waschküche ». Ab 13 Uhr schneit es heftig. Der Abstieg bis zum Basislager, 4000 Meter, kann bei Tageslicht nicht mehr bewältigt werden. Wie selbstverständlich tauchen aber aus dem Tal die Sherpa mit ihren Laternen als willkommene Helfer auf.
Am nächsten Tag wird zur Verbesserung der Laune trotz des Neuschnees eine Kammwanderung über den Jhomson Ridge angetreten. Wir können über die wellige Hochfläche am Nordrand des Himalaya bis nach Tibet hinübersehen. Im Kali-Gandaki-Tal geht es dann wieder abwärts. Als Übergang nach Pokhara wählen wir aber den verschneiten Deoralipass, 3085 Meter, mit seinem Wintermärchenwald. Der Winter liefert ein Rückzugsgefecht. In dieser Jahreszeit liegt der Schnee oft bis 2500 Meter hinauf. Unser vorletztes Lager auf einem andern Pass von 220c 1 Das Dorf Tukuche mit Blick zum White Peak ( 5159 m ), Dhaulagiri-Gruppe Meter ist dafür wieder umgeben von blühenden Rhododendren, und unser Blick schweift hinüber zum südlichen Vorfeld des Himalaya mit dem uns wohlbekannten Phewa-See. Ein breiter Rücken leitet hinab nach Henja. Noch einmal strahlt die Annapurna-Kette, inmitten des Machhapuchhare, in voller Pracht. Für Alpinisten, welche in möglichst kurzer Zeit ins Hochgebirge vordringen wollen, bietet der Himalaya hier eine einmalige Chance. Es sind besonders zwei Gipfel, der Tent Peak, 5550 Meter, und der Mardi Himal, 5440 ( Köllensperger erklärte uns die Anstiegsrouten ), die ohne allzu grosse Schwierigkeiten das Erlebnis « Achttausender von Angesicht zu Angesicht » ermöglichen.
Und der Mount Everest? Die französischen Berater der Nepal Airlines haben diese bewogen, in der guten Jahreszeit täglich « Mount-Everest-Rundflüge » zu starten, Preis pro Person 23 US-Dollar.
Am herrlich klaren i.März steigen wir in Kathmandu in ein ordentliches zweimotoriges Flugzeug. Schon nach wenigen Flugsekunden zeigen sich über dem Talnebel die ersten Achttausender. Die Passagiere glauben den Mount Everest zu sehen; aber es ist der Gaurishankar, 7145 Meter, ein überaus stolzer, der Hauptkette weit vorgeschobener Berg, der durch seinen Steilaufschwung und die gewaltige relative Höhe besticht. Sobald sich das Flugzeug dem wirklichen Mount Everest ( nepalesisch: Sagarmatha ) nähert, dürfen die Passagiere, einer nach dem andern, die Pilotenkabine betreten. Der Kopilot gibt Erklärungen auf englisch. Man versteht zwar nicht genau, welcher von den hohen Riesen die « Göttermutter des Landes » ist, aber man hat sie bestimmt gesehen! Dann wendet das Flugzeug in die entgegengesetzte Richtung - zurück nach Kathmandu. Ich suche Platz in der anderen Sitzreihe und kann auf diese Weise auch auf dem Rückflug den ganzen Himalaya vorbeiziehen lassen. Immer weiter entfernen sich die weissen Spitzen über den graugrün gesprenkelten Tälern des Vorlandes, des « Terai ». Das Flugzeug entlässt uns als « diplomierte Sagarmatha-Flieger », laut ausgestellter Prachtsurkunde!
Eine Schlussbemerkung: Die beste Zeit für « Trekking im Himalaya » ist allgemein der November, frühestens Mitte Oktober. Mitte Dezember bricht der kalte Wintermonsun ein und taucht die Berghänge, die während des Sommers ein grünes Kleid getragen haben, in ein tristes grau. Die dort lauernden bösen Insekten und Blutegel sind im Spätherbst allesamt verschwunden. Ein ideales Wandergebiet!