Alpine Skitouren im Wandel
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Skitouren im Wandel
Albert Schmidt, Engi ( GL )
Gestern und heute im Vergleich Wir waren eine ansehnliche Gruppe bergbegeisterter Burschen und JO-Leiter, die sich ihre Ziele vorwiegend in den näheren Heimatbergen suchte - denn eigene Motorräder oder gar Autos besassen wir nicht.
Die grosse Masse der Skifahrer hatte sich schon ganz dem Pistenskisport verschrieben, und so gehörten wir eben zu den Aussenseitern im Skitourismus. Unser damaliges Erscheinungsbild lässt sich wie folgt beschreiben: Einfache, weitgeschnittene Bergbekleidung, die sich im Sommer und Winter kaum unterschied; zum Skifahren ungeeignete Rucksäcke; ungefütterte, niedere Lederschuhe, in denen wir bei Minustemperaturen grausam an den Fussen froren; statt Sicher-heitsbindungen Kabelzüge mit starren Backen. Wohl verfügten einige bereits über die neu-aufgekommenen, zu dieser Zeit allerdings noch zu schweren und langen Metallski. Die meisten aber besassen nur die traditionellen Holzski mit aufgeschraubten Kanten, daran man die dicken Seehundsfelle befestigte, unter denen sich immer wieder Stollen bildeten; oder die neueren Trimafelle, die sich beim Fixieren auf den in der Mittelrille angebrachten Schienen oft hoffnungslos verklemmten. Den roten Faden der Lawinenschnur hinter uns nachzuziehen, empfanden wir als unsportlich, und so blieb der Knäuel zuunterst im Rucksack, um nur in ganz kritischen Lagen hervorgenommen zu werden.
Aber alle diese Mängel in der Ausrüstung fochten uns nicht sonderlich an. Wir fühlten uns als freie Bergvagabunden. Mit unbekümmerter Selbstverständlichkeit waren wir frohen Mutes in den Bergen unterwegs - ohne an unserer Leidenschaft zu zweifeln oder sie zu hinterfragen. Wahrscheinlich weil unser Weltbild noch intakt und Bergsteigen und Sport für Folgende Doppelseite: Im Aufstieg zur Cabane des Grands-Mulets ( Mont Blanc ) 41 An einem der vielen Schlechtwettertage des Frühlings 1987 sitze ich an meinem Schreibtisch. Vor mir der Auftrag, über das Skitourenfahren der vergangenen 25 Jahre, dem Zeitraum seit dem 100-Jahr-Jubiläum des SAC, einen Beitrag zu verfassen: Aus persönlicher Sicht und mit den Erfahrungen eines Tourenleiters. So versuche ich mich zuerst einmal zurückzuversetzen in die JO-Zeit anfangs der sechziger Jahre.
uns noch ohne störende Bruchstelle mit der Natur verbunden waren.
Im Winter 1987 halte ich Rast auf einem beliebten Innerschweizer Skigipfel und betrachte die zahlreich eintreffenden Gruppen. Wer alles auch ankommt, jede(r ) besitzt das Neueste an Ausrüstung: farbenfrohe, modische Tourenbekleidung aus den modernsten Textilien; bunte, anatomisch perfekt gebaute Rucksäcke; hochschaftige Kunststoffschuhe; leuchtendfarbige, leichte Spezialtourenski; raffiniert konstruierte Bindungsmaschinerien, verstellbare Skistöcke, exakt sitzende Klebefelle.
Wären wir 1963 plötzlich mit diesem Bild konfrontiert worden, so hätten wir unseren Augen nicht getraut und den ganzen Aufzug als kabarettistische Einlage belacht! Auch die Existenz des gelben LVS-Gerätes, das jetzt jeder Skitourist umgehängt trägt, hätten wir damals ins Reich der Utopie verwiesen. Heute, wo man auch hinschaut: alles funktionell, technisch durchdacht und topmodisch! Dazu gleich noch viel mitlaufende Produktewerbung! Grob zusammengerechnet ergeben sich pro Mann oder Frau eine Summe von Fr. 2000. bis 3000. allein für die Ski- und Tourenausrüstung. Geld spielt heute offensichtlich keine Rolle mehr, man hat es. Und das perfekte Äussere trifft auf alle Gruppen zu -für die anrückende SAC-Sektion ebenso wie für die JO, die Alpinschule oder die Privattouri-sten. Unterscheiden und zuordnen lassen sich all diese nur aufgrund einer genaueren Beobachtung ihres Verhaltens und ihrer gegenseitigen Beziehungen.
Die Gründe für den Wandel Nun - wird mancher Leser hier einwenden -dies entspricht dem zeitgemässen Erscheinungsbild des heutigen Tourenfahrers. Und dass dieses sich in einem Zeitraum von 25 Jahren wandelt, ist doch verständlich. Ich glaube, dass eine solche Sichtweise zu oberflächlich ist. Die geschilderte Veränderung in der Aufmachung scheint mir nämlich nicht mehr und nicht weniger zu sein als das Spiegelbild einer viel tiefer greifenden Entwick- lung, die im seitherigen Wandel der geistigen Einstellung zum ( Ski- ) Alpinismus wurzelt, weshalb sie auch nur im Kontext mit der heutigen Kultur und Gesellschaft und ihrem Verhältnis zur Natur verstanden werden kann. Und dieser soziologisch-kulturelle Aspekt ist es, der mich über die praktischen Probleme eines Tourenleiters hinaus interessiert.
Um den Ausgangspunkt vor 25 Jahren nicht nur aus eigenem, vielleicht bereits etwas verklärtem Erleben heraus zu beurteilen, zitiere ich hier, was unsere Vorgänger zum 100-Jahr-Jubiläum in den ALPEN geschrieben haben.
Hugo Wanners Standortbestimmung zum Sommer- und Wintertourenwesen betont den hohen alpintechnischen Standard, den das Sektionsbergsteigen erreicht hatte, hingegen fehlt eine Erwähnung der sich aus dem Alpinismus möglicherweise ergebenden umwelt-bedingten Probleme. War die Welt des Bergsteigers 1963 in Ordnung? Doch wohl auch nicht mehr so ganz, wenn man J. Eschenmosers Beitrag liest, der als Hüttenbauer kommende Umweltprobleme besser spürte:
Die Folgen der ( Über-)Erschliessung des Alpenraumes Wenn nun das alpine Tourenskifahren seit 10 bis 15 Jahren eindeutig nochmals an Popularität gewonnen hat, dann sollte sinnvoller- weise zuerst einmal nach den Ursachen dieses Aufschwungs gefragt werden. Dabei wird man feststellen, dass der SAC selbst, obschon ja die Förderung des Bergsteigens im Vordergrund seiner Zielsetzungen steht, hier nicht mehr die führende Rolle gespielt hat. Der eigentliche Antrieb, der Motor dieser die winterlichen Alpen überflutenden Strömung, kommt von aussen: von der seit den sechziger Jahren erfolgenden grossräumigen skitouristischen und damit auch technischen Erschliessung sowie der damit verbundenen Vereinnahmung vieler ursprünglicher, naturnaher Berglandschaften. Zur Veranschaulichung dieser Entwicklung kann das Bild vom Alpenraum als See dienen, in den in rascher Folge Steine hineingeworfen werden: Die hier von jedem Aufschlag ( d.h. jeder Erschliessung ) konzentrisch ausgehenden Wellenkreise erfassen rasch die dazwischenliegenden ruhigen Flächen und beginnen, sich dort, wo sie sich treffen, sofort zu durchdringen. Dieses Modell steht für die Folge der Erschliessung und Vermarktung alpiner Landschaften und somit für den ständigen starken Druck, der dadurch auf den die Umwelt bis anhin wenig belastenden Skialpinismus ausgeübt wird. Im Zuge dieser Entwicklung sind die Tourenfahrer mehr und mehr aus vielen idealen, weil meistens recht sicheren Skitourengebieten vertrieben wor- Sonnenuntergang bei der Planurahütte den, mit dem Ergebnis, dass in den übriggebliebenen, beliebten Tourengebieten Konzentrationen auftraten.
Eine weitere Folge schliesst sich an: Viele Individualisten unter uns, aber auch die Teilnehmer individuell geführter Sektionstouren, beginnen die überlaufenen Ziele zu meiden und in unbekanntere, stillere, vom Gelände her jedoch oftmals gefährlichere Gegenden auszuweichen. Zugleich gerät der Tourenfahrer dadurch vermehrt in bisher unberührte Wintereinstände von Wildtieren und in abseits liegende Waldungen. Viele Tourenfahrer sind nun aber der Meinung, als zu Fuss gehender Skialpinist benütze man ein Gebiet nur schonend, und es wird oft abgelehnt, auch darin eine mögliche Störung von Wald und Wild zu erkennen - eine Fehleinschätzung, die sich daraus ergibt, dass bloss das eigene, kurze Erscheinen gesehen wird, nicht aber die Gesamtbelastung während der Dauer der ganzen Skisaison. Willentlich wird freilich kein echter Tourenfahrer Wildtiere bedrängen. Das setzt jedoch voraus, dass er zumindest im Besitz von rudimentären Kenntnissen über die Tiere im alpinen Lebensraum ist. Ein entsprechendes Wissen muss aber ebenfalls im Verlauf der Tour zum Ausdruck kommen, indem bewusst alles versucht wird, um Störungen zu vermeiden ( vgl. Sonderheft , 111/84 ).
Die Massenbewegung zeigt noch in anderer Weise Auswirkun- gen auf das Skitourenfahren. Vielen Pistenfahrern ist die einstige Freude am Skifahren durch den damit verbundenen Rummel, das Gehetze, das Schlangestehen und die zunehmende Reglementierung vergällt worden. Vorerst - in den siebziger Jahren - bot sich als Alternative ( und dies nicht nur für ältere Menschen ) der Langlauf an. Als Folge entwickelte sich auch hier ein Boom - mit allen entsprechenden Konsequenzen. In dieser Situation haben in den letzten Jahren viele Wintersportler das Skiwandern und Skibergsteigen entdeckt — sozusagen als letzte Möglichkeit, Skisport in einer ursprünglichen Form auszuüben.
Abfahrt Kärpf-Nord ( GL ) Rasche Entwicklungen im Skitourenbereich - hat der SAC eine Chance verpasst?
Vielleicht muss man heute sagen, dass der SAC und seine Sektionen dieser Herausforderung, diesem Potential neuer Tourenfahrer, nur mit einer abwartenden Haltung begegneten. Wer aber rasch darauf reagiert hat, das sind die in grosser Zahl entstandenen Berg-steiger- oder Alpinschulen, deren geschäftliche Existenz vorwiegend auf jenem Kundenkreis beruht, der einer fachkundigen Gebirgsausbildung dringend bedarf. Dabei haben diese neuen Skitourenfahrer - soweit sie sich überhaupt entsprechend schulen lassen - offenbar auch mehr Vertrauen in eine kommerziell ausgerichtete Ausbildung als in jene beim SAC. Allerdings bieten die Sektionen in der Regel keine Tourenprogramme an, die das Schwergewicht auf eine Grundausbildung legen, während die CC-Kurse nur die Ausbil-dungswilligen erreichen, die bereits SAC-Mit-glieder sind. So bleibt unklar, ob diese neuen Skitourenfahrer für den SAC endgültig verloren sind oder ob sie sich ihm zu einem späteren Zeitpunkt doch noch anschliessen. Jedoch sollte das nicht nur aus finanziellen Gründen ( niederere Hüttentaxen ) geschehen, sondern um der geistigen Werte willen, die der SAC seit seinem Bestehen verkörpert. Bei der jüngsten Bergsteigergeneration wird diese Verbindung insofern leichter hergestellt, als seit 1970 Ju-gend+Sport ( J + s ) und die Jugend-Organisa-tionen ( JO ) des SAC sowohl in der Ausbildung der Jugendlichen als auch in der praktischen Tourentätigkeit eng zusammenarbeiten.
Ein weiteres Indiz für die neue Popularität des Skitourenfahrens liegt zudem im Umstand, wie sich die Bergsportausrüster des zukunftsträchtigen Marktes angenommen haben. Früher wurden ja die Bedürfnisse der Tourenfahrer von der Industrie vernachlässigt, nun aber gibt es plötzlich speziell konzipierte Touren-Ski, Laufbindungen, Touren-Schuhe und -Bekleidung. Diesen Fortschritt schätzen nicht zuletzt die passionierten Skialpinisten, die sich lange mit mangelhafter Ausrüstung abplagen mussten.
Als treibende Kraft wirkt schliesslich noch eine gesellschaftlich-soziale Entwicklung: die Verkürzung der Arbeitszeit und damit der steigende Anteil der Ferien- und Freizeit, wozu auch die eifrig genutzten und gerne etwas verlängerten ( Zwischenferien> über Fasnacht und Ostern, Auffahrt und Pfingsten, Weihnachten und Neujahr gehören. Den Hauptharst des Skiferienvolkes stellen indessen nicht wir ar-beitsfreudige Eidgenossen, sondern unsere bevölkerungsreichen Nachbarländer mit ihrer ( fortschrittlichen ) Arbeitszeit. Dieser Trend ist gekoppelt mit der immer noch anwachsenden, heute fast grenzenlosen Mobilität, zu der nicht etwa nur das Motorfahrzeug seinen Teil beiträgt, sondern die von allen modernen Ver-kehrssystemen ebenso mitgetragen wird. Das Ergebnis ist unübersehbar: Die vielen beliebten, samstags/sonntags ohnehin schon vom Massenansturm betroffenen Skiziele werden jetzt auch zunehmend während der Woche begangen, das heisst in einem Zeitraum, wo früher die Tierwelt noch Ruhe finden konnte. Wenn heute jene winterlichen Räume und Landschaftsnischen immer seltener werden, in denen der skifahrende Mensch nicht anzutreffen ist, so haben auch die starke Verbreitung der Lawinenverschüttetensuchgeräte ( LVS ), die Herausgabe der neuen Skiroutenkarten und der Skiführer zu dieser Entwicklung beigetragen. Hier sind es nun die traditionellen Organisationen — Armee, Skiverband und SAC -, die sich deren Verbreitung zum Ziel gesetzt haben. Ohne Zweifel sind alle drei Hilfen dem echten, humanitären Anliegen zur Erhöhung der Sicherheit der Skitouristen entsprungen, und ich kritisiere nicht deren Verbreitung. Es soll einzig daran erinnert werden, dass es in den sechziger Jahren noch keine LVS und nur wenige Skikarten ( die erste 1951 ) und Skiführer gab, wodurch eine natürliche Hemmung bestand, unbekannte Gebiete zu betreten. Mit den guten Skikarten und -füh-rern gibt es nun immer mehr gebietsunkun-dige Gruppen, die es wagen, ohne Leiter oder Bergführer abseits liegende Täler und Hänge zu befahren oder Varianten zwischen die Routen zu legen. Und das LVS hat eindeutig die Tendenz gefördert, dass sich die Tourenfahrer heute grossflächiger entlang der eigentlichen Skirouten verbreiten, ein Verhalten, das dem zunehmenden Wunsch nach Tiefschneefahren entspringt, aber nur beim kleineren Teil auch auf wirklich verbesserten Kenntnissen über die Schnee- und Lawinenbildung gründet.
Tourenskifahren als Massensport?
Hat man mit den informativen Skiroutenkarten und -führern zuviel des Guten getan? Oder sind es die und die umfassenden Gebietsdarstellungen in all den - vorwiegend ausländischen - alpinen Zeitschriften, die diese Entwicklung vor allem gefördert haben? Diese Fragen sollen hier bloss in den Raum gestellt werden.
Jedenfalls wird die Reaktion verständlich, wenn nun einheimische Bergsteiger oder Gebietskenner die letzten, einsamen Gipfel und Grate, die eine Skibesteigung erlauben, aber noch nicht allgemein bekannt sind, vor einer ( Entdeckung ) bewahren wollen. Denn: Für bergsteigende Menschen, die eine tiefere Beziehung, eine engere Bindung zur Bergnatur haben, die die Bergwelt nicht nur als Spiel-und Sportarena betrachten, ist es buchstäblich lebenswichtig, wenn sie noch einige wenige ruhige Rückzugsgebiete in der übernutzten winterlichen Landschaft vorfinden. Dies gilt für den Erlebniswert wie für die Beanspruchung der Natur. Denn es macht doch einen entscheidenden Unterschied, ob in einem ( Biotop der Stille ) im Laufe des Winters hie und da eine kleine Gruppe kundiger Tourenfahrer ihre Spur zieht, oder ob die Gegend zu einem eigentlichen Modeziel geworden ist.
Naturfreunde mit einer solchen Haltung bekommen indessen schnell den Vorwurf des Egoismus zu hören. In Wahrheit aber kann jemand, der eine noch unbekannte touristische Nische nicht der Öffentlichkeit preisgeben will, es schliesslich keinem andern Tourenfahrer verbieten, diese Gegend trotzdem aufzusuchen. Nein, der Vorwurf der Annektierung einer Landschaft trifft nicht den Ruhe und Erholung suchenden Naturfreund.
In dieser Hinsicht müssen wir vielmehr den Gegenpol im Gesamtbild des Wintertourismus betrachten; das heisst, wir müssen unser Augenmerk auf jene Gebiete richten, wo die Erschliessung ganzer Massive derart radikal erfolgte, dass kein naturverbundener Mensch hier noch Bergtouren unternehmen möchte; wo Skilifte und Raupenfahrzeuge sogar die Gletscher erobert haben; wo Pistenfahrermas-sen über einstige Tourenhänge strömen; wo Viertausender zu Halbtagestouren degradiert werden. An diesen Orten wird der Skibergstei- ger nicht , aber aus seinen traditionellen Skigebieten verdrängt.
Nach einer Tourenwoche zwischen Saas Fee und Zermatt, in der ich mit meinem Sohn seine ersten Viertausender besteigen konnte, haben wir uns am prachtvollen Ostersamstag 1987 auf der Gletscherkuppe am Rimpfischhorn zu einer langen Rast niedergelassen und uns mit dem Fernglas in dieser Hochgebirgsszenerie umgeschaut. Ein Spitzentag, gewiss, weshalb er uns sozusagen auch ein Konzentrat des Phänomens bot. An die 50 Bergbahnen und Skilifte greifen gleich zwei Riesenhänden von beiden Wintersportzentren aus in die Gletscherregion. Die Steilhänge sind vom Muster der Buckelpisten überzogen, und ein unübersehbares Heer von Skifahrern tummelt sich auf und zwischen den Pisten. Und wo keine Bahn mehr hinfährt, da wird geflogen. Heli um Heli schraubt sich aus dem Tal herauf und entlädt Gruppe um Gruppe der zahlungskräftigen Skisportler auf annähernd 4000 Meter Höhe: Auf dem Feekopf, auf der Cima di Jazzi ( von Italien her ), auf der Gletscherkuppe unterhalb der Dufourspitze! Derweilen steigen unverdrossen über 120 Alpinisten den Gletscher empor zum Skidepot, drängen sich als Seilschaften am schmalen Grat zum Traumziel Monte Rosa.
Über den Adlerpass nach Norden und über den Col de Valpelline nach Westen ergiesst sich die Hundertschaft der Haute-Route-Fah-rer, und ihre Spuren fügen sich ebenfalls zu Pistenbreite zusammen, um die Schönbiel-, die Monte Rosa-, die Britanniahütte anzusteuern. Und jeder benutzt dabei selbstverständlich eine oder mehrere Bergbahnen. Nein, das ( Gross-Disneyland Alpen> ist nicht mehr ferne Zukunft. In den Zentren der internationalen Ski-Völkerwanderung zwischen Chamonix und Cortina d' Ampezzo steht es schon an der Schwelle zur Gegenwart!
Der Skibergsteiger im Bannkreis der heutigen Entwicklung Von dieser Skitourismus-Bewegung gehen derart starke Impulse aus, dass auch die Zunft der Bergsteiger und Tourenfahrer davon geprägt worden ist. Wer in Hütten und Bahnen, auf Gletschern und Gipfeln genau beobachtet und hinhört, dem wird die Veränderung klar, schleppen Skifahrer über den Feegletscher die auch den Alpinismus umstrukturiert hat. Die Zeit, da die Bergsteiger eine verschworene Einheit naturverbundener, bescheiden auftretender Bergfreunde waren, ist vorüber. Zwar sucht auch heute jeder das Naturerlebnis, jedoch nur zu gerne unter dem Motto: so propagiert:
Und was wird von vielen Touristen jetzt aus der Haute-Route, der einstigen entbehrungsreichen Skidurchquerung der Walliser Alpen gemacht? Ein rascher Galopp von Zermatt nach Chamonix! Dem anstrengenden Mittelteil im Combin-Massiv wird gerne ausgewichen: Von der Cabane des Dix über die Rosablanche, um noch von den Zubringerbahnen in den Skizirkus Verbier zu profitieren, dann noch schnell die letzte Etappe durchs Trientgebiet! Oder aber vom Otemma-Gletscher hinüber ins Valpelline, mit dem Taxi durchs Aostatal nach Courmayeur, mit der Seilbahn zur Turinerhütte und über den Glacier du Géant hinunter ins Vallée Blanche! Die Haute-Route gemacht oder gelebt? Was steht hier im Vordergrund? Die Freude am Da-Sein im Hochgebirge oder jener Geist, der unsere Zivilisation prägt: soviel als möglich, so schnell als möglich hinter sich zu bringen?
Es ist unübersehbar: Auch als Bergsteiger sind wir ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, unserer Kultur. Gezeichnet von der Unrast dieser Zeit, sind viele auch in den Bergen nicht mehr fähig, jene Form der Ruhe und Musse zu finden und zu gewinnen, die es uns erlaubt, zu beobachten, zu warten, hinzuhören und nachzudenken und die Natur ebenso zu befragen wie uns selbst. An die ständige Reizüberflutung und den täglichen Lärm gewöhnt, ertragen bereits manche die Stille - an den wenigen Orten, wo sie noch anzutreffen ist - nicht mehr. Am zweiten Schlechtwettertag einer Tourenwoche verlieren die Teilnehmer bereits die Geduld: Fort in den Süden oder nach Hause an die Arbeit!
Nur, ist es überhaupt noch möglich, fünf Tage im Komfort moderner Wohnungen zu leben und umgeben von ausgeklügelter Technik und Elektronik zu arbeiten, um dann, nach einer rasenden oder auch stockenden Auto-bahnfahrt, zwei Tage lang im Einklang mit der Natur zu sein, ihre Lebewesen zu verstehen, ihre Schwingungen zu spüren, ihre Geheimnisse zu erahnen? Wer ist dazu noch in der Lage? Etwa jene Menschen, die in entlegenen Bergdörfern und Berghütten wohnen, im Wald, im Gebirge arbeiten? Oder nur noch Dichter und Maler, Denker und Träumer?
Schlussbetrachtung Es sind dies Schlaglichter, die aktuelle Erscheinungen des ( Ski-)Alpinismus ins Blickfeld rücken, keineswegs jedoch in Pauschalurteilen ausmünden sollen. Ich habe im vorliegenden Beitrag Eindrücke, Empfindungen, Erfahrungen, Beobachtungen und meine ganz persönliche Betroffenheit aus meiner über 25jährigen Tourentätigkeit verarbeitet. Aufgrund vieler Kontakte zu Bergkameraden und zu Teilnehmern an Sektionstouren, aber auch durch Beobachtung anderer Bergsteiger, weiss ich ebenfalls um das Mass an Bergbegeisterung und Naturverbundenheit, an echter Beziehung zum Berg, das im Alpinismus und vor allem im SAC immer noch vorhanden ist. Es gibt ihn noch, jenen Kern bergsteigender Menschen, die in ganzheitlicher Weise, mit Körper, Geist und Seele, mit den Bergen und der Natur in allen ihren Formen verbunden sind.
Jedoch prägen sie nicht mehr allein das Gesicht des Alpinismus, der heute in all seinen Erscheinungen und Richtungen schillernder, aber auch widersprüchlicher oder fragwürdiger geworden ist. Anstelle einer Rückbesinnung auf den inneren Gewinn eines tätigen Da-Seins in der Natur, gepaart mit grösserer Sensibilität für deren Eigenwert, muss man nicht nur oft eine zunehmende Naturentfremdung feststellen, es wird auch der Wettkampf-gedanke1 immer mehr in noch intakte, unverbaute Berglandschaften hineingetragen. Des- 1 Man denke nur an die zurzeit im Modetrend liegenden sportlichen Anlässe wie Gebirgsstaffette, Bergläufe, Aipin-Marathon, Aipin-Triathlon u.a.m.
halb sollen Bedenken, Befürchtungen und Kritik auch geäussert werden, um so mehr, als in der Aktivität von Bergsteigen und Sport ohnehin die Gefahr liegt, vor lauter Tatendrang die Fragen nach dem , dem und dem Sinn solch grundlegender Lebensäusserungen zu vergessen. Wohl Messen sich hier verschiedene Vorschläge und Empfehlungen denken, bei denen aber die Gefahr bestünde, dass sie als eine Art Dogma, der ( einzig richtigen Art>, Bergsteigen zu betreiben, verstanden und abgelehnt würden.
So möchte ich die Leser nur auffordern, auf ihren eigenen Berg- und Skitouren das Verhalten der Menschen in der Natur und die Auswirkungen von Bergsteigen und Skisport auf die Umwelt genauer zu beobachten, zu überprüfen, zu hinterfragen - und selber nach Antworten und Lösungen zu suchen.
Um unser Verhältnis zum ( Ski- ) Berg im Umfeld eines vorwiegend immer noch materialistisch und technokratisch geprägten Ge-sellschafts- und Wirtschaftssystems zu überdenken, wäre es wohl sinnvoll, sich nicht allein an berühmten bergsteigenden Zeitgenossen, sondern auch an den grossen Denkern und Analytikern unserer Zeit zu orientieren; etwa an Erich Fromm, der in die Charakterstruktur des neuen Menschen unter anderem so definiert:die Bereitschaft, alle Formen des Habens aufzugeben, um ganz zu seindie Fähigkeit, wo immer man ist, ganz gegenwärtig zu seinsich eins zu fühlen mit allem Lebendigen und daher das Ziel aufzugeben, die Natur zu erobern, zu unterwerfen, sie auszubeuten, zu vergewaltigen und zu zerstören, und statt dessen zu versuchen, sie zu verstehen und mit ihr zu kooperieren. ) Wieder mehr