Albrecht Hallers Gedicht: «Die Alpen»
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Albrecht Hallers Gedicht: «Die Alpen»

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von W. Aeberhardf

( Arch-Bern, Sektion Weissen stein ).

Damit ist nicht die vornehme Zeitschrift des Schweizerischen Alpenklubs gemeint, sondern jenes Gedicht resp. Gedichtbändchen des grossen Gelehrten Albrecht Haller von Bern ( 1706-1777 ), das in mancher Hinsicht ein Wunderkind ward, so wie die Alpen selber ein Wunderland sind, welches von jeder Generation neu entdeckt und erlebt wird und werden muss.

Rein äusserlich schon war Albrecht Hallers Jugendwerk ein fabelhafter Bucherfolg beschieden; bereits zu seinen Lebzeiten erschienen « Die Alpen » in dreissig Auflagen. Wahrscheinlich hat er selber von verschiedenen Nach-drucken seiner Gedichte ( oder genauer: « des Versuchs Schweizerischer Gedichte » ) keine Kenntnis gehabt, haben doch rührige und geschäftstüchtige Verleger damals sich um kein Autorenrecht gekümmert. So brachte z.B. auch der Bieler Drucker Nikiaus Heilmann 1776 Hallers « Versuch Schweizerischer Gedichte » heraus, wobei ihm Hallers Göttinger Ausgabe mit den zierlichen Kupferstichen von Schmid als Vorlage gedient haben mochte. Dem Bieler Heilmann kommt übrigens das hohe Verdienst zu, als erster eine « Gesamtausgabe » der Werke Goethes verlegt zu haben, von welcher Ausgabe Goethe kaum etwas gewusst haben wird. Also ein Diebstahl am geistigen Eigentum nach heutigem Begriff! Die schönsten Ausgaben von Hallers « Die Alpen » aber sind doch die in Bern von der Typographischen Societät besorgten, welche die feinen Dunkerschen Vignetten schmücken. Diese breitrandigen, auf holzfreiem Papier gedruckten, jetzt noch säubern, blütenweissen Exemplare sind eine Augenweide für den kultivierten Bücherliebhaber.

Albrecht Haller, dieser weltbekannte Gelehrte, der mit seinem Loblied auf die Berge und deren Bewohner eine Begeisterung sondergleichen schuf, hat seine Eindrücke, d.h. den Stoff für seine poetischen Ergüsse, im Jahre 1728 auf einer Alpenreise gewonnen, die ihn nicht viel über die 2000-m-Linie führte; ein gefahrloser, bequemer Spaziergang in den Augen des heutigen Hochtouristen ist die Route, die Passwanderung, die Haller und seinen Freund, den Theologen, Botaniker und Physiker Johann Gessner von Zürich ( f 1790 ), vom Wallis über die Gemmi ins Berner Oberland und von da über den Jochpass nach Engelberg brachte! Übrigens ist J. J. Rousseau, dessen lyrische Hymnen auf das Wallis in der « Nouvelle Héloïse » im 18. Jahrhundert eine hinreissende Bewunderung für die Berge auslösten, nicht einmal so hoch wie Haller gestiegen: und doch sollte Rousseau der eigentliche Entdecker der Bergwelt in der modernen Zeit werden. Aber eben, diesen grossen Geistern Haller und Rousseau war das Erlebnis, das Empfinden der Grosse und Erhabenheit der Berge geschenkt: und dieses unmittelbare Erfühlen der Naturschönheit steht in keiner Proportion zu den Höhenkurven! Nicht mehr das Furchtbare, Abweisende, Ungeheuerliche, Schreckhafte sahen sie an den Alpen, sondern sie gewannen eine ganz neue Einstellung zur Natur der Bergwelt.

Immerhin: Haller hat fast fünfzig Jahre vor der ersten neuzeitlichen Grosstat des Alpinismus, der Ersteigung des Mont Blanc im Jahre 1787, die Alpen, ihre Menschen, Tiere und Blumen besungen. Sein Gedicht übte auf seine Generation eine faszinierende Macht aus, von der wir uns heute kaum mehr einen Begriff machen können.

Ein drittes Einmaliges und zudem Unterschiedliches von allen andern Besuchern der Gebirgswelt in der Frühzeit des Alpinismus ( erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ) besteht darin, dass nicht wissenschaftliche Interessen ( mineralogische, botanische, physikalische Belange ) Haller hinführten und fesselten, sondern es ist die Natur, das Naturerlebnis, die Sehnsucht nach dem ungestörten Frieden in der herrlichen, unverdorbenen, grossartigen, von der v.r.

Zivilisation unberührten Schöpfung Gottes. In der Bergwelt glaubte der junge Haller noch das goldene Zeitalter realiter zu finden. Die Bergbewohner sind ihm « die glücklichen Menschen ». Fünfzig Jahre später freilich, als er klagte: « Das Alter ist einsam, meine meisten Freunde sind tot, eine neue Zeit steigt empor, die ich nicht kenne », ward er kleinlauter. Er sah nun auch die Schattenseiten seiner geliebten Alpenheimat, wo er einst nur Unschuld, Reinheit, ungetrübte Freude und Glück geschaut und geglaubt hatte.

Das grosse poetische Werk « Die Alpen », das in der Literaturgeschichte eine Wende bedeutete und welches auf seine Zeitgenossen so ungeheuer begeisternd wirkte, ist Haller, wie er nach Vollendung desselben im März 1729 gesteht ( siehe Einleitung der Göttinger Ausgabe ), sehr schwer geworden. Erschwert wurde es durch das gewählte Versmass und die zehn Linien fassenden Strophen. Wir wissen aber, dass der Dichter und Gestalter Haller noch vor einer erheblich schwierigeren Aufgabe stand, nämlich dass der Neuerer Haller seinen Gefühlen, Stimmungen, Gedankengängen erst noch den Ausdruck, ja die Sprache schaffen musste. Haller ist, vielleicht sich selber noch unbewusst, der Schöpfer einer national-schweizerischen Poesie geworden. Ein G. J. Kuhn ( « Volkslieder » ) ist mir ohne Hallers « Die Alpen » nicht gut denkbar. Wenn Hallers Dichtung nach dem Geschmack von uns Heutigen vielleicht zu viel Pathos hat, so wollen wir in seiner Sprache doch in erster Linie die Freude heraushören, die Haller ob der Entdeckung und der ihm zuteil gewordenen Offenbarung der Bergwelt empfand. Eine Strophe aus seinem Gedicht diene als Illustration des Gesagten ( Des Hirten Heimkehr ):

Wann der entfernte Strahl die Schatten nun verlängert, Und Phoebus müdes Licht sich senkt in kühle Ruh, So eilt die satte Schar von Überfluss geschwängert Mit schwärmendem Geblök gewohnten Ställen zu. Die Hirtin grüsst den Mann, sobald sie ihn erblicket, Der Kinder froh Gewühl frohlockt und spielt um ihn. Und, ist der süsse Schaum der Euter ausgedrücket, So sitzt das müde Paar zu schlechten Speisen hin. Begierd und Hunger würzt, was Einfalt zubereitet, Bis Schlaf und Liebe sie, umarmt ins Bett begleitet.

So schildert Haller das einfache, genügsame, ohne Versuchung ruhig dahingleitende Dasein des Hirtenvolkes; das Leben im Frieden, welches die freien Bergbewohner im Gegensatz zu den eingeengten Städtern führen. Sicher malte Haller mit den Augen des beglückten und naiven, reinen Träumers. Er hat, sich selber bewusst oder unbewusst, viel idealisiert. Sein Gedicht hat die Leser dem Alltag entrückt; es hatte die Kraft, dem Leser ein schöneres Land zu zeigen. Diese Sehnsucht nach dem Lande und der Stätte, da Friede, Ruhe, Glück uns umgeben, lässt ja auch uns die Berge und die herrlichen Alpen ersteigen und aufsuchen.

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