50 Jahre Erstbesteigung Dhaulagiri: Mit dem Yeti zum «Weissen Berg»
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50 Jahre Erstbesteigung Dhaulagiri: Mit dem Yeti zum «Weissen Berg»

1960 gelang einer vorwiegend schweizerischen Expedition unter der Leitung von Max Eiselin die Erstbesteigung des Dhaulagiri ( 8167 m ). Damit war der zweitletzte aller Achttausender bezwungen. Doch nicht nur der Aufstieg ist erinnerungswürdig, sondern auch die Art, wie er angegangen wurde: Auf dem Weg zum Berg spielte der « Yeti » eine Schlüsselrolle: ein kleines einmotoriges Flugzeug und Prototyp des Pilatus-Porter.

Von Anfang an nahmen Schweizer (1) bei der Erkundung des Dhaulagiri einen wichtigen Platz ein: Die ersten Fotos, die den wegen seiner leuchtenden Schneeflanken oft « Weisser Berg » genannten Gipfel aus der Nähe zeigten, waren vom grossen Schweizer Geologen Arnold Heim im Oktober 1949 auf einer Höhe von 4500 Metern aus einer zweimotorigen Dakota aufgenommene Flugbilder. Ab 1950 wurde der Berg in Westnepal auch bergsteigerisch heftig umworben: Eine französische Expedition unter der Leitung von Maurice Herzog gelangte an seine Ostseite, befand ihn aber bald als zu schwierig. Die starke Gruppe wechselte an die Annapurna, deren Erstbesteigung – es war der erste Achttausender überhaupt – ihr dann gelang.

In den nächsten Jahren versuchte sich eine Expedition nach der anderen am Dhaulagiri; darunter zwei argentinische, ein österreichisches und drei Schweizer Teams. Dabei stiess die Gruppe des Akademischen Alpenclubs Zürich 1953, darunter Bergsteiger wie Ruedi Schatz und André Roch, auf der sogenannten «Birnenroute» bis auf 7700 Meter vor. Sie erkannte, dass es für den Gipfelaufstieg einen «besseren Durchschlupf» als die schwere Birnenroute geben könnte. Davon vollständig überzeugt war der Luzerner Max Eiselin nach einem Versuch im Jahr 1958. Doch im darauffolgenden Jahr ging die einzige Besteigungsbewilligung der nepalesischen Behörden an eine österreichische Mannschaft unter Fritz Moravec (2). Doch lassen wir Max Eiselin (78) erzählen.

ALPEN :Warum haben Sie damals ausgerechnet den von den Franzosen als «teuflisch schwierig» bezeichneten Dhaulagiri zum Ziel auserkoren?

Max Eiselin: Wenn internationale Koryphäen wie Terray, Lachenal und Rébuffat sich von einem Berg geschlagen geben müssen – welcher junge Bergsteiger hätte der Herausforderung widerstehen können? Zudem war der Dhaulagiri nach der Erstbesteigung des Lhotse 1956 zum höchsten noch unbestiegenen Berg der Erde aufgestiegen. Allein schon der Kampf um ein Permit war hart – eine Schlüsselstelle lange vor dem Gipfel! Nach unserem vergeblichen Versuch 1958 wurde die Bewilligung für 1959 den Österreichern erteilt. Ich erhielt sie erst für 1960.

Warum gaben Sie den Österreichern selbstlos den Tipp, es über den Ihres Erachtens « viel leichteren und sicheren » Nordostsporn zu versuchen?

Natürlich war es riskant, meine Gegenspieler einzuweihen; aber was ist Bergsteigen ohne Fairness schon wert? Und übrigens hatte schon Bernhard Lauterburg, der Leiter der Dhaulagiri-Expedition des AACZ von 1953, erkannt, dass eines Tages vielleicht Bergsteiger den Nordostsporn angehen und das Plateau darunter in einen Gletscherflugplatz umfunktionieren würden. Eine Vision, die wir 1960 realisierten! Die Österreicher hätten 1959 einen Gipfelerfolg verdient, und sie haben ihn wahrlich nur um ein Haar verpasst: Sie gelangten auf 7800 Meter; doch das Wetter und ein tödlicher Spaltensturz führten zum vorschnellen Ende dieses siebten Besteigungsversuches.

Wie konnten Sie die Expedition finanzieren?

Ich hatte keinerlei öffentliche Hilfe zur Verfügung, sondern brachte das ganze Geld von Privaten zusammen. Ein beträchtlicher Teil davon kam aus einer Grusskartenaktion – eine Idee Albert Egglers: Wir machten etwa 30000 Karten, die man für fünf Franken kaufen konnte, wovon uns ungefähr dreieinhalb Franken blieben – ein « Bettelgeschäft », das funktionierte! Dann half uns auch die Presse, u.a. der Tages-Anzeiger und die NZZ, die schon vor der Reise grosse Artikel brachten mit dem Postcheckkonto der Expedition. Eine Erstbesteigung «zog». Die Amerikaner waren noch nicht auf dem Mond gewesen!

So war der Weg für die Expedition im Jahr 1960 also offen. Aber Sie hatten nicht nur bergsteigerische Ambitionen. Sie wollten mit einem Flugzeug an diesen Berg, der berüchtigt war für die schwierigen Anmarschrouten aus den tief gelegenen Tälern seiner Umgebung. Wie haben Sie es geschafft, eine Bewilligung für den Flug mit dem « Yeti » zu erhalten?

Für uns Schweizer war es nicht einfach, uns bei den Regierungsstellen von Nepal Gehör zu verschaffen. Im Gegensatz zu anderen Ländern konnten wir weder General Perón, noch die Queen noch ein sonstiges Staatsoberhaupt vorschicken; wir hatten nicht einmal ein Konsulat in Kathmandu. Aber wir hatten zwei andere Trümpfe: den Agronomen Werner Schulthess, der in Nepal Käsereien errichtet hatte und freien Zugang zur nepalesischen Verwaltung hatte, sowie den Geologen und geschickten Diplomaten Toni Hagen, der bei König Mahendra Bir Bikram Shah ein und aus ging. Er «organisierte» uns – was auch von Nepalkennern für unmöglich gehalten worden war – eine Spezialbewilligung, mit der wir mit unserem Pilatus Porter in ganz Nepal ohne Einschränkung fliegen und auf jeder Yakweide und jedem Schneefeld, egal in welcher Höhe, landen konnten.

Der «Yeti» musste dann aber erst nach Nepal gebracht werden. Am 12.März 1960 starteten die beiden Piloten Ernst Saxer und Emil Wick mit Peter Diener und Ihnen den Überflug zum fast 10000 Kilometer entfernten Nepal. Welche Bedeutung hatte diese Reise für Sie?

Der fliegerische Teil der Geschichte war für mich fast ebenso wichtig. Natürlich stand das Bergsteigen im Vordergrund; aber Erstbesteigungen hatte es schon gegeben, der «Yeti» war hingegen ein wirkliches Novum – lustig, rassig und technisch interessant. So war auch die Anreise eine Pionierleistung. Der «Yeti» gab dieser Expedition Charakter. Dies wollte ich auch im Expeditionsbuch Erfolg am Dhaulagiri so gewichten – über das «Tschumpeln im Schnee» hatte ich selbst schon genug gelesen.

«Yeti» - Weltrekord und Untergang... Ende März 1960 traf endlich die ganze Expeditionsmannschaft in Nepal zusammen. Mit Max Eiselin reisten die Schweizer Hugo Weber, Albin Schelbert, Michel Vaucher, Peter Diener, Ernst Forrer, Jean-Jacques Roussi, die Piloten Ernst Saxer und Emil Wick, die Polen Adam Skoczylas und Georg Hajdukiewicz (Expeditionsarzt), der Österreicher Kurt Diemberger und der Amerikaner Norman Dyhrenfurth zum Dhaulagiri. Am Anfang klappte alles hervorragend: Die Bergsteiger und die sechs Tonnen Material wurden Kiste für Kiste mit dem « Yeti » zum Dambusch-Pass auf 5200 Meter geflogen – damals ein Weltrekord! Allerdings liess das unbeständige Wetter täglich höchstens zwei Flüge zu. Die auf den Dambusch-Pass eingeflogenen Bergsteiger litten erst einmal an den Auswirkungen der Höhe. Endlich akklimatisiert wurden die ersten unter ihnen samt Material zum Dhaulagiri-Nordost-Col ( 5650 m ) geflogen, dem Ausgangspunkt für den Nordostsporn. Alles lief wie geplant. Doch dann passierte es: Nach dem 13..April erschien der « Yeti » nicht mehr, und ein Viertel des Materials lag immer noch auf dem Dambusch-Pass. In Etappen begannen die Bergsteiger, die Ausrüstung hochzuschleppen. Kein leichtes Unterfangen, wie sich Max Eiselin erinnert: «Wir hatten nicht das Beste dabei, halt nach dem Motto ‹Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul›. So hatten die Polen die Zelte organisiert: Sie waren aus Baumwolle, robust, aber furchtbar schwer! Doch auch die Ausrüstung aus der Schweiz war damals noch nicht so optimal. » Der «Yeti» kehrte erst Anfang Mai zurück: Kurz nach dem Start in Pokhara war ein Zylinderkopf des Motors geborsten. Die Notlandung lief glimpflich ab, und innert kürzester Zeit glückte auch die Reparatur mit einem Ersatzmotor, der von den Pilatus-Werken per Charter nach Pokhara gebracht wurde. Zwei Tage lang funktionierte das Flugzeug, doch am 5.Mai stürzte der «Yeti» endgültig ab: In der Luft riss der Griff des Steuerknüppels, Saxer verlor die Kontrolle. Die Notlandung war diesmal um einiges ruppiger, doch stiegen die beiden Piloten unverletzt aus der demolierten Maschine. Es blieb ihnen allerdings nichts anderes übrig, als nach Pokhara zurückzuwandern und heimzureisen, da sie «ohne Flugzeug arbeitslos geworden waren», wie Eiselin schrieb. Heute sei der «Yeti ein Schrotthaufen, aus dem die Einheimischen die Sitze herausmontiert haben», während er selbst daheim einige Stücke Blech aufbewahrt.

Die Hauptlast hatte das Flugzeug jedoch wie geplant verfrachtet. Und so erreichten am 13..Mai 1960 Albin Schelbert, dann Kurt Diemberger mit Nawang Dorje Sherpa, Ernst Forrer mit Nima Dorje Sherpa und schliesslich Peter Diener den Gipfel des Dhaulagiri. Noch nie waren so viele Bergsteiger an einem einzigen Tag auf einem Achttausender gestanden. Am 23 .Mai folgten noch Hugo Weber und Michel Vaucher.

Was geschah nach Ihrer Heimkehr?

Eine Achttausender-Erstbesteigung galt noch etwas, es gab viele Anfragen von Zeitungen und Zeitschriften! Der Dhaulagiri war auch eine grosse Hilfe für mein Bergsportgeschäft, das ich ab 1954 als Versandhandel in der Wohnung meiner Eltern begonnen hatte. Die Ausrüstung hatte ich zu Beginn unter dem Sofa gestapelt, und zu meinen ersten Lieferanten gehörte Cassin, dessen Haken ich am liebsten an Feiertagen holte, um am Zoll nicht behelligt zu werden.

Wie sehen Sie «Ihren» Dhaulagiri im Rückblick?

Ich bin 1932 geboren, die Achttausender gingen in den 1950er-Jahren auf – es reichte also gerade noch für die Dhaulagiri-Erstbesteigung! Im Nachhinein ist das nicht so wichtig, aber schön. Die goldene Zeit des Bergsteigens ist längst vorbei, inzwischen auch die silberne. Es war eindeutig ein Glück, damals unterwegs sein zu können. Heute ist das «Equipment» raffinierter, das Bergsteigen ist ein Massensport geworden. Ich habe das grosse Glück, im richtigen Moment auf die Welt gekommen zu sein!

1 Vgl. ALPEN 6/2000, 1959 II S.180/184/245, 1960 II S.4/8/68/92/109/119/121/138/140/185, 1961 I S.42 ( d ) 40 ( f ), 1962 II S.270. 2 Vgl. ALPEN 1959 II S.194.

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