Zum Work-out in die Kletterhalle | Schweizer Alpen-Club SAC
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Zum Work-out in die Kletterhalle Der Boom der Kletter- und Boulderhallen

Indoorklettern und -bouldern hat sich in den letzten Jahren zu einem Breitensport entwickelt. Noch immer werden neue Hallen gebaut und bestehende erweitert. Allerdings steigen die Ansprüche, und es gibt erste Anzeichen für eine Sättigung.

Was einst als Schlechtwettertraining in muffigen Kellern und windigen Dachstöcken begann, ist längst zum hippen Ganzjahrestrendsport geworden: Alt und Jung klettert und bouldert heute in modernsten Hallen – für die einen ist es ein Work-out nach einem stressigen Arbeitstag, für die anderen ein Beschäftigungsprogramm mit den Kindern und für wieder andere eine Möglichkeit, einen verregneten Sonntag zu überbrücken. In Deutschland hat sich die Zahl der aktiven Kletterer in den letzten 30 Jahren beinahe verzehnfacht. Für die Schweiz gibt es zwar keine Erhebung, die Zahlen dürften aber ähnlich stark gestiegen sein. «Indoorklettern ist definitiv in der breiten Bevölkerung angekommen», sagt Sandro Niklaus, Mitgründer der Kletterhalle O’Bloc in Ostermundigen bei Bern.

Obschon bald jede grössere Ortschaft in der Schweiz über eine Kletterhalle verfügt, sorgen immer wieder Neubau- und Erweiterungsprojekte für Aufsehen. Nur sieben Jahre nach der Eröffnung plant beispielsweise das «O’Bloc» in Ostermundigen bereits eine Verdoppelung des Angebots. In Biel wird bis 2025 ein neues nationales Leistungszentrum für die Elite entstehen. Und in Zürich Oerlikon hat «Minimum» im November 2022 eine zweite Boulderhalle mit 1000 Quadratmetern Grundfläche eröffnet, unweit vom zürcherischen Wädenswil, wo mit dem Kletterzentrum Gaswerk vor zwei Jahren eine der grössten Anlagen der Schweiz gebaut wurde – mit über 400 Kletterrouten und 200 Bouldern.

Auch in St. Gallen setzt man auf Wachstum: «Die Kletterhalle» investierte im Frühling 2022 massiv in ihren Aussenbereich und bietet jetzt den grössten Outdoorboulderpark der Schweiz. Im aargauischen Baden eröffnete im November 2021 «Bouba», eine grosse Boulderhalle mit rund 200 Bouldern. Und in der Westschweiz haben die Gebrüder Rebetez in den letzten zehn Jahren sechs grosse Anlagen aus dem Boden gestampft und mit «Grimper.ch» ein wahres Kletterhallenimperium aufgebaut.

Ganzheitlicher Sport im urbanen Umfeld

Unterdessen gebe es in der Schweiz rund 80 grössere Anlagen, schätzt Simon Riediker, Präsident der IG Kletteranlagen und Mitgründer der Kletterhalle 6a plus in Winterthur. Die Gründe für den Boom sieht er in den globalen Sporttrends. Da wäre zunächst einmal der Indoortrend: Die Leute wollen praktisch direkt vor ihrer Haustüre in einem urbanen Umfeld Sport betreiben können. Zudem sind ganzheitliche Sportarten gefragt, die Körper und Geist fordern und damit auch noch die Gesundheit fördern. Und nicht zuletzt entspricht Hallenklettern auch dem Trend zu informellem Sport. Insbesondere Frauen wollen sich nicht an Vereine binden. Bei «6a plus» zum Beispiel liegt der Frauenanteil bei über 50%. Am Fels sieht das noch immer ganz anders aus.

Für Martin Baumeler, Geschäftsleiter des «Griffig» in Uster, des grössten Indoorkletterzentrums der Schweiz, ist die Niederschwelligkeit ein wichtiger Grund für den Zuwachs der Sportart: «Ohne grossen Zeitaufwand, mit wenig Material und in einem geschützten Rahmen kann man in der Halle eine vielseitige Sportart erlernen.» Auch für Familien und Jugendliche sei dies attraktiv. In praktisch allen Hallen gibt es zahlreiche Angebote für Kinder und Schulklassen. Daniel Rebetez, Mitgründer von «Grimper.ch», betont, dass der soziale Aspekt ein zentraler Faktor für den Erfolg des Indoorkletterns sei: Man wisse, dass man in der Halle Menschen mit den gleichen Interessen treffe.

«Neue Hallen sind keine Selbstläufer mehr»

Doch wird der Trend anhalten, oder platzt die Blase irgendwann? Fest steht, dass sich die Kletterhallen schneller von der Coronakrise erholt haben als zum Beispiel Fitnessstudios. «Das Wachstum wird weitergehen, wenn auch vielleicht nicht mehr im gleichen Tempo», schätzt Sandro Niklaus vom «O’Bloc». Nach den Olympischen Spielen 2020, bei denen erstmals Sportkletterwettkämpfe ausgetragen wurden, erwartet er einen weiteren Schub von der WM Sportklettern 2023, die im August in Bern stattfinden wird. Daran glaubt auch Simon Riediker von der IG Kletteranlagen: «Sportklettern als Spitzensport steht noch ganz am Anfang. Die publikumswirksame Präsentation der Wettkämpfe hat Potenzial und ist Gold wert für die Entwicklung des Sports.»

Dennoch sieht Riediker erste Anzeichen für eine Sättigung: «Neue Hallen sind keine Selbstläufer mehr. Sie werden nicht mehr sofort überrannt, sondern müssen ihre Kundschaft sorgfältig aufbauen.»

Ansprüche der Kundschaft steigen

Auch wenn sicher noch weitere Hallen entstehen werden, stehen die Zeichen in den nächsten Jahren eher auf Konsolidierung. «Der Unterhalt und die Erneuerung der bestehenden Infrastruktur sind eine Herausforderung», sagt Daniel Rebetez von «Grimper.ch». Mit der zunehmenden Konkurrenz steigen auch die Ansprüche der Kundschaft. Es müssen nicht nur ständig neue Routen geschraubt werden, sondern es gilt auch, auf Trends zu reagieren. Aktuell seien zum Beispiel grossvolumige Griffe gefragt, so Martin Baumeler vom «Griffig», dies müsse man im Budget berücksichtigen. Aber auch abseits der Wände sind die Hallenbetreiber gefordert. Sandro Niklaus vom «O’Bloc» sagt: «Die Erwartungshaltung der Kundschaft hat sich in den letzten Jahren verändert. So wird heute verlangt, dass von den Garderoben über die Duschen bis zum Ambiente und zum Bistro alles tipptopp ist.»

SAC-Sektionen betreiben kleinere Hallen

In Deutschland ist der Alpenverein (DAV) selbst Platzhirsch in der Kletterhallenbranche. Er betreibt über 200 der insgesamt gegen 550 Hallen im Land – darunter auch eine der weltweit grössten in Thalkirchen, einem Stadtbezirk von München. Die riesige Anlage verfügt über 7700 Quadratmeter Kletter- und Boulderfläche, bis zu 20 Meter hohe Wände und knapp 500 verschiedene Routen. Getragen wird sie von einem gemeinnützigen Verein bestehend aus den 21 DAV-Sektionen im Raum München.
In der Schweiz sind die grossen Hallen in der Regel in privaten Händen. Vielerorts betreiben SAC-Sektionen zwar kleinere Anlagen oder sind an solchen beteiligt. Die Infrastruktur für den grossen Boom der Sportart stellen aber andere zur Verfügung. Eine der Ausnahmen ist die SAC-Sektion Hohe Winde in Laufen in Baselland. «Anstatt eine SAC-Hütte in den Alpen haben wir eine Kletterhalle vor unserer Haustüre», sagt Vorstandsmitglied Daniel Weber. 2008 hat die Sektion für eine Million Franken einen gut 19 Meter hohen Neubau realisiert und bietet seither 600 Quadratmeter öffentlich zugängliche Kletter- und 85 Quadratmeter Boulderfläche an. In normalen Jahren werden über 1000 Einzeleintritte und zahlreiche Gruppen gezählt. Hoch hinaus will aktuell auch die SAC-Sektion Bern – allerdings out- und nicht indoor: Bis im Sommer dieses Jahres funktioniert sie zwei 45 Meter hohe Pfeiler eines Autobahnviadukts zu Kletterwänden um.
Mit der ganz grossen Kelle richtet derzeit der Liechtensteiner Alpenverein an. Bis zum Winter 2024/25 will er in Schaan über sechs Millionen Franken in eine neue Kletterhalle investieren. Die Regierung hat das «landesweite Interesse» der Anlage bereits bestätigt und fünf Millionen Franken an Subventionen zuhanden des Landtags verabschiedet. Die Halle soll dem Leistungs- wie auch dem Breitensport zur Verfügung stehen.

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