«So vollkommen ist die Einsamkeit» | Schweizer Alpen-Club SAC
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

«So vollkommen ist die Einsamkeit»

Die Britin Maud Christine Cairney (1893–1939) machte 1927 und 1928 mit bemerkenswerten Premieren im Winter und Sommer an Ober Gabelhorn, Pointe de Zinal und Dent Blanche von sich reden.

 

Neun Stunden hätten sie gebraucht, um am 10. Februar 1927 vom Dorf Ayer (1478 m) im Val d’Anniviers über das menschenleere Zinal bis zum Hôtel du Mountet (ca. 2860 m) zu gelangen – eine bedauernswerte Zeit, meint die britische Alpinistin Maud Cairney in ihrem Bericht «Ober Gabelhorn. First Winter Ascent from Mountet», der 1928 im «Ladies’ Alpine Club Year Book» und im Jahr darauf im «British Ski Year Book» erschienen ist. Aber, so gibt Lady Maud als Entschuldigung an: «I had only started skiing a week before.»

Ein steiler Einstieg: 16 Kilometer und 1400 Höhenmeter als erste Skitour. «Wenn man sehr müde ist, erscheint einem eine Spitzkehre als das absolut Teuflischste, das man sich vorstellen kann, und ich stöhnte jedes Mal innerlich auf, wenn ich an das Ende einer Querung kam.» Ihr einziger Trost: Benoît Theytaz, der Leiter des Hôtel du Mountet, konnte mit den Ski noch weniger gut umgehen im Gegensatz zu den Führern, den Brüdern Hilaire und Théophile Theytaz; Letzterer galt zu dieser Zeit als der beste Skifahrer des Tales.

Am nächsten Tag übte die Skinovizin mit ihren Führern das Fahren am Seil unten auf dem Glacier de Zinal, nachdem sie den Morgen an der Sonne vor dem Hotel verbracht hatte. In Mountet hinten gab es einst zwei Unterkünfte: das 1910 von der Führerfamilie Theytaz aus Ayer errichtete Hôtel du Mountet sowie die 1871 erbaute und 1919 vergrösserte Cabane du Mountet CAS der SAC-Sektion Les Diablerets, damals auch Cabane Constantia genannt.

Der Hotelier beobachtete die Tour via Teleskop

Zwei Tage nach der Ankunft im Hôtel du Mountet machten sich Maud Cairney, Hilaire und Théophile Theytaz um sechs Uhr morgens auf den Weg zur ersten Winter- und Skibesteigung des Ober Gabelhorns von der Mountet-Seite. Die erste solche Besteigung überhaupt war am 3. Februar 1920 Joseph Knubel und Marcel Kurz gelungen, von der Zermatter Trift-Seite. Hotelier Benoît Theytaz blieb an diesem Samstag, 12. Februar 1927, im Hotel zurück und versprach, dass er die geplante Tour mit dem Teleskop verfolgen und im Falle eines Unglücks sofort nach Ayer eilen würde, um Hilfe zu holen. «Dieser ermutigende Abschiedsgruss war so ziemlich das Beste, was ich je hatte!», so Maud Cairney.

Mit den Ski spurte das Trio über den Glacier de l’Obergabelhorn bis etwa 3300 Meter hinauf, dann stieg man mit den Steigeisen weiter. Der Aufstieg über den Nordwestgrat erforderte von Théophile Theytaz teilweise viel Hackarbeit im steilen Eis. Um zwei Uhr erreichte die Seilschaft den Gipfel des Ober Gabelhorns (4063 m). «Wir sassen in der Sonne, vor dem Wind geschützt, und freuten uns auf die Getränke, mussten aber feststellen, dass alles Trinkbare in unseren Aluflaschen festgefroren war. Dann öffneten wir eine Dose Pfirsiche in der Hoffnung, den Saft zu trinken, aber die Pfirsiche waren in Eis eingebettet, und wir hatten stattdessen eine Art ‹Pêche Melba›», berichtet Cairney. «Thermosflaschen wären im Winter sicherlich angebracht.»

Viele Stürze, späte Rückkehr

Maud, Hilaire und Théophile kamen abends kurz vor sechs zurück ins Hôtel du Mountet. Sie wären früher eingetroffen, gesteht die Skibergsteigerin, aber sie sei beim Skifahren so oft gestürzt, dass es fast besser gewesen wäre, zu Fuss nach Mountet hinabzuwaten. Trotzdem: «I enjoyed this climb more than any I have ever done.» Und, so ihr Fazit zur Faszination des Bergsteigens im Winter: «Man könnte ganz allein auf der Welt sein, so vollkommen ist die Einsamkeit.»

Zwei Tage später führten Maud Cairney, Hilaire und Théophile Theytaz die erste Winter- und Skibesteigung der Pointe de Zinal (3790 m) durch, und das über die knapp 500 Meter hohe, im unteren Teil sehr verschrundete Nordwand, eine Route, die am 3. August 1926 von der berühmten Seilschaft Emile-Robert Blanchet und Kaspar Mooser erstmals begangen worden war.

Ihre Bergsteigerlaufbahn hatte Maud Cairney im Sommer 1923 begonnen, zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Edith. Trotz anfänglichen Schwierigkeiten gefiel ihnen das Bergsteigen, und beide traten dem Ladies’ Alpine Club bei. 1925 lernten sie Théophile Theytaz (1895–1936) kennen, und an seinem Seil ging es richtig zur Sache: Als dritte und vierte Frau überhaupt erreichten sie über den schwierigen Viereselsgrat die Dent Blanche.

Maud ging weiter mit ihrem Lieblingsbergführer auf grosse Touren; so traversierten sie Grépon, Aiguille Verte, Weisshorn und Matterhorn. Am 26. August 1926 gelang den beiden, mit Cyprien Theytaz als Verstärkung, der erste Abstieg über den Nordwestgrat des Besso, eine wilde Abseilerei in nicht immer zuverlässigem Fels.

1928 aber krönten Maud Cairney und Théophile Theytaz ihre alpinistischen Karrieren mit der ersten Durchsteigung der 1000 Meter hohen Nordostwand der Dent Blanche (siehe «Dorothy vs. Maud»). Im Herbst 1928 trat Maud Christine Cairney, die 1917 ihren Master gemacht hatte, in den britischen Colonial Service ein und arbeitete fortan in den Federated Malay States auf der malaiischen Halbinsel. Ihre letzte grössere Tour war die Besteigung des gefährlichen Vulkans Semeru (3676 m), des höchsten Gipfels von Java. 1933 kam sie krank zurück nach Europa, lebte fortan in Ligurien und erlag ihrer Krankheit am 22. Mai 1939 im English Hospital von Nizza.

Autor / Autorin

Daniel Anker

Daniel Anker ist ein Berner Autor und Fotograf. Der Historiker hat ungefähr 40 Skitouren-, Wander-, Klettersteig- und Radführer sowie Bergmonografien über grosse Gipfel der Schweiz verfasst.

Dorothy vs. Maud

Zwei Britinnen, ein Ehemann und zweimal zwei Bergführer, ein Viertausender mit einem herausfordernden, bisher nur einmal im Abstieg begangenen Nordgrat: An der Dent Blanche (4357 m) wurden im Sommer 1928 an zwei höchst spannenden Tagen zwei neue, sehr schwierige Routen je erstmals im Abstand von drei Wochen begangen. Am 20. Juli 1928 führte Joseph Georges, genannt le skieur, seinen Bruder Antoine und das englische Ehepaar Dorothy Pilley und Ivor Armstrong Richards vom Col de la Dent Blanche (3530 m) über den Nordgrat hoch. Noch unterhalb des 350 Meter hohen, senkrechten Aufschwunges gingen sie auf ausgesetzter Route nach rechts in die Nordwestwand, um dann über einen kleinen Überhang und entlang des Aufschwungs auf den eigentlichen Nordgrat zurückzugelangen.
Théophile Theytaz hatte an dieser Premiere an «seiner» Dent Blanche natürlich keine Freude. Am 11. August 1928 folgte er, Maud Cairney und Bruder Hilaire am Seil, nur kurz dem Nordgrat und hielt dann links hinaus in die 1000 Meter hohe Nordostwand. In heiklem, abschüssigem und steinschlägigem Gelände kletterten sie hoch; zweimal mussten sie einen menschlichen Steigbaum machen. Zuletzt erreichten sie über den obersten Nordgrat den Gipfel. Die erste Durchsteigung der Nordostwand der Dent Blanche war vollbracht. (dab)

Feedback