«Riskante Situationen zu kontrollieren, macht mich glücklich» | Schweizer Alpen-Club SAC
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«Riskante Situationen zu kontrollieren, macht mich glücklich» Interview über das Risikomanagement

Der Lead-Guide des SAC-Expeditionsteams und Luftfahrtingenieur Peter von Känel setzt sich intensiv mit dem Thema Risiko auseinander. Im Interview erklärt er, warum es beim Risiko nicht ums das Minimum, sondern um das individuell richtige Mass geht.

Peter von Känel, wie definieren Sie Risiko?

Risiko ist das Produkt aus der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses, zum Beispiel eines Sturzes, und seinen Konsequenzen, zum Beispiel schweren Verletzungen. Wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit hoch ist, müssen die Konsequenzen niedrig sein, oder umgekehrt. Beim Risikomanagement geht es darum, das Risiko so weit zu optimieren, dass es für die betroffene Person stimmt.

Sie wollen das Risiko optimieren und nicht minimieren?

Jeder Mensch hat ein für sich ideales Risikoniveau, das je nach Lebensbereich, Lebensphase oder auch Tagesform unterschiedlich sein kann. Wenn man alle Risiken meidet, kann das zu Langeweile führen, unzufrieden oder gar krank machen. Lebt man hingegen zu oft zu riskant, wird man vielleicht nicht alt. Es geht um das optimale Mass, nicht um das Minimum.

Wovon hängt es ab, wie risikobereit eine Person ist und wo ihr individuell optimales Risiko liegt?

Die persönliche Risikobereitschaft basiert auf der Veranlagung und der Prägung durch das Umfeld. Wichtig ist auch der Kontext. Wenn ich als Bergführer mit Gästen unterwegs bin, halte ich die Risiken viel tiefer, als wenn ich mir ein aussergewöhnliches Abenteuer wie die Tour am Eiger gönne.

Sie haben im Sommer 2023 zusammen mit Silvan Schüpbach die aufsehenerregende Kletterroute Renaissance in der Eigernordwand erstbegangen. Wenige Tage später brach nahe der Route ein Felsturm ab. Haben Sie die Gefahr falsch eingeschätzt?

Nein. Denn zwischen unserer Begehung und dem Abbruch gab es einen Temperatursturz und Starkniederschläge. Wir haben für die Begehung die vorangehende lange Wärmeperiode mit konstanten Bedingungen gewählt. Das bestärkt uns eher in unserer Gefahreneinschätzung. Das Risiko war für mich noch «familienkompatibel».

Was wäre denn für Sie ein nicht mehr familienkompatibles Risiko?

Hätte ich keine Familie, würde ich vermutlich Basejumping oder Speedflying betreiben. Ich habe mich bewusst gegen diese Aktivitäten entschieden, weil sie für mich mit Familie zu riskant sind.

Sie betonen den Begriff «bewusst» in Bezug auf das Risiko.

Ja, denn ich kann nur bewusste Risiken einschätzen. Ich versuche daher, mir möglichst viele der unbewussten Risiken bewusst zu machen. Nur so kann ich entscheiden, ob ein Risiko für mich akzeptabel ist und ob die Sache es mir wert ist.

Was treibt Sie an, sich immer wieder in riskante Situationen zu begeben?

Riskante Situationen kontrollieren zu können, macht mich glücklich und stärkt mein Selbstbild. Vor einer Herausforderung bin ich etwas nervös und ängstlich. Bin ich dann im Tun, weicht dieses Gefühl einer fast meditativen Konzentration, einem Flow. Das ist besonders intensiv, wenn die Anforderungen gerade noch im Rahmen meiner Fähigkeiten liegen. Und danach weicht diese Konzentriertheit einer tiefen Zufriedenheit. Eine solche spüre ich übrigens auch, wenn mir die Risiken zu hoch sind und ich es schaffe abzubrechen.

Wie halten Sie es mit dem Risiko im Bergführerberuf? Auch hier ist das Risiko nie null. Sprechen Sie mit den Gästen darüber?

Einen Bergführer dabeizuhaben, reduziert das Risiko für die Gäste enorm, aber ein Restrisiko bleibt immer. Ich spreche das offen an, so, wie ich im Normalfall mit den Gästen auch meine Überlegungen und Zweifel teile. Mir ist auch wichtig, die Ziele und Beweggründe der Gäste zu kennen. So entsteht ein offener Dialog mit günstigem Einfluss auf das Risiko. Und nach der Tour reflektieren wir gemeinsam – so entsteht Erfahrung.

 

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«Erfahrung ist die Summe der reflektierten Ereignisse. Diese müssen weder negativ noch meine eigenen sein.»
Peter von Känel

Bringt Erfahrung nicht nur dann etwas, wenn sie negativ war? Bei positivem Verlauf einer Tour weiss man nicht, wie viel noch zum Unfall gefehlt hat.

Auch aus positiven Ereignissen kann man lernen, beispielsweise wenn mir eine Kollegin schildert, wie sie einen Unfall vermeiden konnte. Erfahrung ist die Summe der reflektierten Ereignisse. Diese müssen weder negativ noch meine eigenen sein.

Von anderen zu lernen, setzt voraus, eigene Fehler einzugestehen und sie mit anderen zu teilen.

Alle machen Fehler. Wenn man diese – auch die wirklich peinlichen – mit anderen teilt, profitieren alle davon. Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie schwierig es ist, über blöde Fehler zu sprechen. Ich schaffe es manchmal erst mit genügend zeitlicher Distanz.

Was raten Sie Bergsportlerinnen und Bergsportlern, die mehr Risikokompetenz entwickeln wollen?

Bei risikobehafteten Tätigkeiten kann man mit gezielten Massnahmen eine Art Sicherheitsnetz aufspannen, um zu verhindern, dass ein Fehler gleich zu einem Unfall führt. Man nennt das Fehlertoleranz. Oft sind das einfache Dinge wie der Partnercheck vor dem Losklettern oder der Biwaksack im Rucksack beim Wandern.

 

Tipps vom Risikomanager:

3×3-Filtermethode: Die drei Faktoren «Verhältnisse», «Gelände» und «Mensch» zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten beurteilen: bei der Planung zu Hause, im Gelände auf dem Weg zum Einstieg und laufend in der Route. Eine Checkliste abarbeiten, damit nichts vergessen geht.

Zur Person

Peter von Känel ist Bergführer, Extremkletterer, Luftfahrtingenieur, Gleitschirmpilot und zweifacher Familienvater. Als Vortragsredner, Buchautor und Lead-Guide des SAC-Expeditionsteams gibt der 50-Jährige seine Erfahrung im extremen Bergsteigen weiter. Mit der puristischen Route Renaissance gelang ihm im Sommer 2023 zusammen mit Silvan Schüpbach eine aufsehenerregende Erstbegehung in der Eiger-Nordwand.

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