«Ohne Begeisterung funktioniert es nicht» Manager Heinz Karrer über seine steile Karriere und seine grösste Leidenschaft
Still war es nie um Heinz Karrer. Mittlerweile ist der erfolgreiche Manager aus Münsingen zwar etwas kürzergetreten, aber noch immer führt er viele Mandate aus. Wir haben den 64-Jährigen getroffen, um über ein Thema zu reden, das ihm stets so wichtig war wie sein Beruf: die Berge.
Heinz Karrer, Sie blicken auf eine imposante Karriere zurück. Sie waren unter anderem in der Konzernleitung von Swisscom, CEO der Axpo Holding und Präsident von Kuoni und economiesuisse. Haben Sie das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben?
Heinz Karrer: Es gibt sicher Dinge, die ich rückblickend anders machen würde. Vieles ist mir gelungen, anderes nicht. Wer macht schon immer alles richtig? Aber das ist meines Erachtens auch nicht der Punkt. Mir war immer wichtig, dass ich meinen Job leidenschaftlich gern mache und aus den Fehlern lerne. So reihten sich die einzelnen Stationen meiner Laufbahn aneinander.
Das hört sich so einfach an. Sie hatten doch bestimmt einen Plan?
Nein, einen Karriereplan hatte ich nie. Ich habe mich nach Lehre und Matura sowohl an der ETH für Geologie als auch an der Universität St. Gallen immatrikuliert. Geografie und vor allem Geologie hat mich immer interessiert. Ich wäre gern in die Forschung gegangen. Und dann kam es doch anders.
Sie sind sehr bodenständig geblieben.
Ich hoffe es. Das war und ist mir auf jeden Fall wichtig.
Nicht alle Manager, die sich an Luxushotels gewöhnt haben, schlafen mit anderen Leuten in den Massenschlägen einer Berghütte.
Ich habe mein Geschäftsleben und mein Privatleben immer getrennt. Die guten Hotels waren ein Teil meines Berufes, ich habe das auch genossen. Aber es gab nie einen Grund abzuheben. Hätte ich mich dennoch von meinem Naturell verabschiedet, wäre meine Frau Sonja schnell zur Stelle gewesen und hätte mich auf den Boden zurückgeholt (lacht). Nein, im Ernst: Warum sollte ich denn nicht in einer Berghütte übernachten? Bei Leuten, die wegen anderer Gäste keinen Schlaf finden, ist das nachvollziehbar. Aber ich habe zudem das Glück, an jedem Ort der Welt schlafen zu können, ohne jegliche Mühe. Ich schlafe selbst auf hartem Boden durch.
Sie machen übers Jahr viele Touren. Was bedeuten Ihnen die Berge?
Das ist kaum zu beschreiben. Das Wandern, das Klettern und die Skitouren begleiten mich schon ein Leben lang. Als ich ein kleiner Junge war, nahmen mich meine Eltern in die hügelige Landschaft des Zürcher Tösstals und in den Alpstein mit. Später ging ich mit meinem Vater in die Alpen, bis ich schliesslich selbst anfing, mit Freunden Touren zu machen. Für die Berge blieb immer Zeit in meinem Leben, selbst wenn viel los war.
Und trotzdem sind Sie erst mit 50 dem SAC beigetreten …
(Lacht) Wissen Sie, ich wollte dem SAC schon viel früher beitreten. Aber in meinen jungen Jahren gab es ja noch strikte Auflagen für Neumitglieder, so hätte ich etwa auf einer einwöchigen Bergtour dabei sein müssen. Ich konnte diese Bedingungen damals aus zeitlichen Gründen nicht erfüllen, und so wurden meine Anträge zweimal abgelehnt. Aber 2009 hat es dann bei der Sektion Tödi doch noch geklappt.
Vor Ihrer beruflichen Laufbahn waren Sie Spitzenhandballer und schafften es 1984 sogar an die Olympischen Spiele in Los Angeles. Gibt es da Parallelen zu Ihren Aktivitäten in den Bergen?
Ein gewisser Ehrgeiz ist notwendig, sonst hätte ich manches nicht erreicht, im Handball, im Beruf und beim Bergsteigen. Ich mag die Leistung und den Wettbewerb, ich fordere mich gern selbst heraus. Gleichzeitig waren die Berge für mich immer ein Rückzugsort, ein Ausgleich zum Alltag. Wenn ich von einer zweitägigen Tour nach Hause komme, bin ich im ersten Moment erschöpft, merke dann aber schnell, dass sich mein Geist enorm erholt hat. Mit dieser Frische in eine neue Woche zu starten, ist ein tolles Gefühl.
Als Alphatier müssen Sie in den Bergen die Führung anderen überlassen. Fällt Ihnen das schwer?
Überhaupt nicht. Ich war rund 20 Jahre mit meinem Freund Art Furrer in den Alpen und in den Anden unterwegs und mittlerweile seit rund 30 Jahren mit meinem Freund Gusti Oehrli (Anm. der Red.: ehemaliger Skirennfahrer). Glauben Sie mir, ich zweifle keinen seiner Entscheide an. Wir kennen uns in- und auswendig, manchmal höre ich allein an Gustis Stimme, wie ich mich zu verhalten habe. Ich könnte mir keine besseren Bergführer als Art und Gusti vorstellen.
Hatten Sie auch schon Glück?
Einmal verliessen wir frühmorgens die Konkordiahütte SAC auf der Aufstiegsspur in Richtung Grünhorn. Es war noch dunkel, als uns ein lautes Krachen aufschreckte. Etwa zehn Meter entfernt hatte sich eine Gletscherspalte aufgetan. Gusti vollzog mit den Ski eine blitzschnelle 180-Grad-Sprungdrehung und fuhr an mir vorbei. Aber Glück war da sicherlich mit dabei. Die Spalte hätte sich auch weiter gegen uns aufreissen können.
In einem Artikel war einmal zu lesen, wie Gusti Oehrli Sie als «begeisterungsfähig und zäh» beschrieben hat. Nehmen Sie sich auch so wahr?
Begeisterungsfähig bin ich mit Sicherheit. Wenn ich etwas anpacke, dann mit der Überzeugung, es zu Ende zu führen. Ohne Begeisterung für die Sache würde das nicht funktionieren. Es macht mir zudem Freude, andere zu begeistern und zu motivieren.
Sie wären vielleicht ein guter Teamcoach geworden.
Vielleicht, ich weiss es nicht. Ich war Handballspieler, habe mich weitergebildet und habe nach meiner aktiven Karriere angefangen, mich noch mehr für die Wirtschaft zu interessieren. In diesem Bereich fühlte ich mich schnell wohl, ich spürte, dass ich etwas bewegen kann, dass ich Menschen für ein gemeinsames Ziel begeistern kann.
Überzeugen Sie Menschen auch davon, mit Ihnen in die Berge zu gehen?
Klar. Ich bin kein Bergführer, aber einfachere Touren traue ich mir schon zu. Es gibt zum Beispiel oberhalb von Mürren einen schönen Klettersteig. Dort quert man den hohen Wasserfall des Mürrenbachs. Für jemanden, der nie oder selten in die Berge geht, ist das ein tolles Erlebnis. Ich mag die Gegend sehr.
Sie haben einen Bezug zu Mürren?
In den späten 1970er-Jahren fuhren wir mit der Junioren-Handballnationalmannschaft für ein Trainingscamp nach Mürren. Seither hat mich die Region nicht mehr losgelassen. Sonja und ich haben in Mürren geheiratet, später hatten wir die Gelegenheit, dort eine Wohnung zu kaufen. Mürren ist für unsere Familie zur zweiten Heimat geworden. Auch unsere drei Söhne und ihre Partnerinnen verbringen viel Zeit dort. Ich bin zudem im Verwaltungsrat der Mürren Investment AG. Gerade wird das alte Palace-Hotel um- und neugebaut, es soll auf die Wintersaison 2024/25 wieder eröffnet werden.
Welche Viertausender im Berner Oberland haben Sie schon bestiegen?
Ich habe alle 48 in der Schweiz bestiegen. Das war kein persönliches Ziel, aber weil ich alles sehen wollte, war ich halt irgendwann überall oben.
Was halten Sie von Rekorden in den Bergen, wie sie beispielsweise von Extrembergsteiger Dani Arnold aufgestellt werden?
Ich kenne Dani gut, war mit ihm auch schon in den Bergen unterwegs, und wir reden oft über seine Projekte und natürlich auch über die damit verbundenen Risiken. Was er körperlich und geistig leistet, ist sagenhaft. Wenn ich beispielsweise an den Westgrat des Salbitschijen hochblicke und daran denke, dass durchschnittliche Alpinistinnen und Alpinisten vielleicht zehn Stunden und mehr dafür brauchen, und dann erfahre, dass Dani die gleiche Route in einer Stunde und fünfunddreissig Minuten schafft, ist die Bewunderung noch grösser. Leistungsgrenzen auszuloten, ist etwas Faszinierendes. Man muss sich unglaublich fokussieren und konzentrieren können, durchbeissen, und am Ende, wenn man es geschafft hat, ist die Erfüllung gross.