© Hugo Vincent
Kompass und Karte haben nicht ausgedient Vor- und Nachteile der analogen und digitalen Werkzeuge für Tourenplanung und Orientierung
Die Digitalisierung durchdringt jeden Bereich des Lebens. Damit verändert sich auch die Art und Weise, wie man in die Berge geht. Früher waren Karte, Kompass und Höhenmesser unverzichtbare Begleiter, heute unterstützen zusätzlich Apps und Onlineportale die Bergsteigenden – oder sie ersetzen die analogen Werkzeuge ganz.
Die Tragödie an der Pigne d’Arolla hat Aufsehen erregt: Eine zehnköpfige Skitourengruppe, angeführt von einem erfahrenen Bergführer, irrte im Frühling 2018 in einem Schneesturm auf über 3000 Metern über Meer umher; sieben der Mitglieder starben. Wie es dazu kam, ist bis heute nicht restlos geklärt. Der Bergführer, der hätte Auskunft geben können, war unter den Toten. Klar ist, dass die Gruppe GPS und Smartphone dabeihatte. Eine Vierergruppe, die ausschliesslich mit Karte und Kompass ausgerüstet und bis dahin auf der richtigen Route unterwegs gewesen war, stiess im Whiteout auf die Zehnergruppe. Sie liess sich dazu verleiten, von ihrer analogen Navigation abzulassen und stattdessen dem Bergführer zu folgen.
Werkzeuge wandeln sich, das Ideal nicht
Nicht nur dieses tragische Ereignis führt in Bergsteigerkreisen immer wieder zu Diskussionen darüber, ob analoge oder digitale Werkzeuge die besseren Begleiter sind. «Es geht weniger um die Frage nach den richtigen Werkzeugen. Wichtiger ist, dass die Grundvoraussetzungen erfüllt sind, damit man eigenverantwortlich und möglichst sicher unterwegs ist», sagt Christian Andermatt, Fachleiter Winter beim SAC. Das bezieht sich auf die Planung und die Durchführung der Tour und heisst konkret: sich intensiv mit dem Gelände und den Verhältnissen zu beschäftigen und ein Gespür für die Route zu entwickeln. «So entfaltet sich die Umgebung vor dem inneren Auge zu einem dreidimensionalen Abbild, das man im Gedächtnis speichert und auf das man unterwegs zugreifen kann.» Die Wege, wie dieses Ideal erreicht wird, sind unterschiedlich.
Rein analog sind heute wohl nur noch die wenigsten Bergsteigenden unterwegs. Viele sind sogar nur noch digital unterwegs, einige kombinieren beides. Die meisten würden dem oben geschilderten Ideal sicher zustimmen, müssten aber ehrlicherweise auch eingestehen, dass sie die Navigation mit Karte und Kompass nicht aus dem Effeff beherrschen. Zwar lehrt der SAC den Umgang mit Karte und Kompass in seinen Ausbildungskursen, «aber die wenigsten üben das regelmässig», sagt Christian Andermatt. «Die Frage ist: Wie erreichen wir, dass die Masse dem Ideal entspricht?»
Redundanz ist entscheidend
In einigen Jahren wird man Bergtouren vielleicht mit einer Virtual-Reality-Brille begehen und sich so vorab ein genaues Bild von Schlüsselstellen und Umgebung machen können. Wäre dieses vorgefertigte dreidimensionale Abbild besser als dasjenige, das man im Kopf durchs Studieren von Karten entstehen lassen kann? Es ist ungewiss, welche Möglichkeiten die Digitalisierung noch eröffnen wird. Was aber unabhängig von den verwendeten Werkzeugen allgemeingültig ist und was auch das Drama an der Pigne d’Arolla gezeigt hat: Man sollte sich nicht nur auf ein Werkzeug verlassen. Redundanz kann im entscheidenden Moment den Unterschied zwischen Leben und Tod machen.
Sowohl analoge als auch digitale Werkzeuge haben Vor- und Nachteile. Diese zu kennen, hilft Bergsteigenden, sich besser einschätzen zu können und damit Eigenverantwortung und Sicherheit zu fördern.
Vorteile der analogen Werkzeuge
• Gedruckte Karten (vorzugsweise im Massstab 1 : 25 000) haben einen Vorteil: Der konstante Massstab lässt einen ein besseres Gefühl für Entfernungen entwickeln und fördert das räumliche Vorstellungsvermögen, im Gegensatz zum ständigen Rein- und Rauszoomen auf dem Smartphone.
• Analoge Werkzeuge sind unabhängig von Akku und Batterien.
• Es kann passieren, dass man an einem abgelegenen Ort ohne Netzabdeckung bemerkt, dass man vergessen hat, die Karten offline herunterzuladen. Wer dann Karte und Kompass dabeihat und sie auch bei schwierigen Bedingungen, zum Beispiel bei Nebel, anwenden kann, ist unabhängig unterwegs.
Nachteile der analogen Werkzeuge
• Gedruckte Karten sind rasch veraltet: Schmelzen der Gletscher, neue Schutzgebiete usw.
• Damit man analoge Werkzeuge sicher anwenden kann, muss man sehr viel üben.
• Eine Karte lässt sich bei starkem Wind nur schwer verwenden.
Vorteile der digitalen Werkzeuge
• Digitale Plattformen sind eine Art persönlicher Assistent für Bergsportler: Dank präziser Positionsbestimmung erleichtern sie die Navigation während der Tour.
• Besonders praktisch bei Mehrtagestouren: Man kann Touren laufend auf dem Smartphone planen. Zudem zeigen viele Apps gleich auch Varianten an.
• Der Track kann in der Gruppe geteilt werden. Wenn alle die gleiche Route offline auf dem Smartphone gespeichert haben, erhöht dies Sicherheit durch Redundanz.
• Die Apps vereinfachen Komplexes und vereinen eine Fülle an präzisen Daten: Geländebeschaffenheit, Lawinenbulletin, Schneehöhe usw.
• Die Apps liefern eine Vorauswahl. Damit verliert man keine Zeit mit Touren, die etwa aufgrund des Lawinenbulletins nicht infrage kommen.
Nachteile der digitalen Werkzeuge
• Die digitalen Tools können dazu verleiten, die Tourenplanung abzukürzen. Warum sollt man sich die Mühe machen, einen Track selbst zu erstellen, wenn man ihn einfach kopieren kann? Aber Achtung: Ein Track auf dem Smartphone ist noch lange keine Tourenplanung.
• Die leichte Verfügbarkeit von umfassenden Informationen kann dazu führen, dass man sich überschätzt und eine Tour plant, die die eigenen Fähigkeiten übersteigt.
• Digitale Geräte können einen unterwegs im Stich lassen.
• Eine einzelne App kann nicht alles. Wie beim Kochen muss man die richtigen Zutaten miteinander zu kombinieren wissen, zum Beispiel das SAC-Tourenportal für Routen und Orientierung, swisstopo für die Orientierung, MeteoSchweiz für das Wetter, White Risk für die Lawinengefahr und die Rega-App für die Alarmierung im Notfall (am besten mit Kopfhörer, bei starkem Wind versteht man sonst nichts).
• Wenn man während der Tour ständig auf den Bildschirm schaut, verliert man das Gespür für das Gelände.
• GPS-Tracks erscheinen sehr genau, sind aber nicht zwingend korrekt. Wichtig ist es, die Quelle der Daten zu kennen.
Tipps für die Tour
• Sich von den digitalen Hilfsmitteln nicht dazu verleiten lassen, unnötige Risiken einzugehen. Wenn etwa der Nebel bereits zu Beginn der Tour auf dem Gletscher hängt, sollte man nicht blindlings darauf vertrauen, dass einen das Gerät schon leiten wird.
• Ersatzakku und -batterien immer dabeihaben und das Gerät so nah wie möglich am Körper tragen. Viele Akkus und Batterien verlieren in der Kälte an Leistungsfähigkeit.
• Immer mal wieder unterwegs die Ortung ausschalten und testen, ob man weiss, wo genau man ist und wo man hinwill. So trainiert man das Gespür.
• Den gespeicherten Track zwecks Redundanz auf ein anderes Gerät kopieren!