Klettern fürs Kulturdenkmal | Schweizer Alpen-Club SAC
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Klettern fürs Kulturdenkmal Industrieklettern

Wo man mit Leitern und Gerüsten ansteht, kommen die Industriekletterer zum Einsatz. Einen speziellen Auftrag hatte Laurent Lavignac mit seiner Firma im Bourbaki-Museum Luzern.

Es ist ein surreales Bild. Zwei Kletterer in Vollmontur stehen vor einer winterlichen Landschaft bereit, an blauen und orangefarbenen herunterhängenden Seilen in die Höhe zu klettern. Im Hintergrund liegen erschöpfte oder tote Pferde im Schnee. Überall stehen und sitzen Soldaten, einige wärmen sich an improvisierten Feuern. Das Winterbild hat Edouard Castres 1881 gemalt. Es ist ein Rundbild von 112 mal 10 Metern und zeigt die Internierung von 87 000 französischen Soldaten, die im Winter 1871 in der Schweiz Zuflucht fanden. Die Truppen wurden von General Charles Bourbaki angeführt, weshalb man sie auch Bourbaki-Armee nannte. Das Bourbaki-Panorama ist im gleichnamigen Museum in Luzern zu Hause. Die beiden Kletterer, die die Ärmel hockgekrempelt haben, sind Mitarbeiter der Nordwand Arbeit am Seil GmbH und leisten einen wichtigen Beitrag bei der Restaurierung des Museums.

Anfang Jahr wurde das Bourbaki Panorama Luzern in aufwendiger Arbeit für 800 000 Franken saniert. Das runde Gebäude am Löwenplatz wurde 1889 für das Panorama gebaut, das heute als europäisches Kulturdenkmal gilt. Unter der Dachkuppel sorgen ein Baldachin, Sonnensegel und ein riesiger Stoffzylinder für eine optimale Beleuchtung und einen dreidimensionalen Effekt.

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«Und zum Hochgehen nehmen wir den Lift.»
Laurent Lavignac
Geschäftsführer Nordwand Arbeit am Seil GmbH

Der Stoff aber ist in die Jahre gekommen und muss ersetzt werden – eine komplizierte Aufgabe, zumal wegen eines Faux Terrain keine Gerüste gestellt werden können und das Gemälde auf keinen Fall beschädigt werden darf. Deshalb kommen die Industriekletterer ins Spiel. Binnen drei Wochen holen sie den alten Stoff herunter und montieren eine neue Schiene für den neuen Zylinderstoff.

In Paris klettern gelernt

Alex Ruggiu und Fosco Jorio schlüpfen in ihre Klettergurte, die zusammen mit dem ganzen Material, das daran hängt, rund zwölf Kilogramm wiegen. Fosco Jorio klettert bis ganz unters Dach des hohen Gebäudes. Als er alles eingerichtet hat, klettert auch sein Kollege mithilfe von Steigklemmen nach.

Die Techniken und die Ausrüstung sind nahe am Alpinklettern. Der Beruf des Industriekletterers ist von Kletterern erfunden worden. Die Spezialisten der Firma Nordwand nennen sich denn auch «Gebäude-Alpinisten». «90 Prozent der Leute in der Branche sind Kletterer», schätzt Fosco Jorio, der in seiner Freizeit als SAC-Tourenleiter fungiert. Wobei bei der Arbeit nicht viel geklettert werde, meistens seile man sich von oben ab. Zum Beispiel an Fassaden von hohen Gebäuden. «Und zum Hochgehen nehmen wir den Lift», sagt Laurent Lavignac und lacht herzlich.

Er ist der Gründer und Geschäftsführer der Firma Nordwand, ein Pionier im Industrieklettern: «Ich habe 1998 die erste Firma in der Deutschschweiz gegründet.» Lavignac stammt aus Frankreich und hat sein Können auf abenteuerliche Art und Weise in Paris gelernt. «Ohne Sicherheit und ohne Ausbildung», sagt er. Heute ist das anders. Nach zwei schweren Unfällen in der Schweiz hätten sich mehrere Firmen und die Suva zusammengetan, einen Verband gegründet und Ausbildungs- und Sicherheitsstandards definiert.

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«Auf einer Leiter habe ich Angst, am Seil nicht.»
Laurent Lavignac
Geschäftsführer Nordwand Arbeit am Seil GmbH

Inspiration bei der Eiger-Nordwand

Laurent Lavignac kommt beruflich ursprünglich aus der Baumpflege, wo man ähnliche Techniken mit etwas anderem Material kenne. Er war auch Kameramann, und als solcher wollte er für einen Film über die Eiger-Nordwand anheuern. Das klappte jedoch nicht, dafür hinterliess bei ihm eine Wanderung zur Eiger-Nordwand einen bleibenden Eindruck, und er benannte seine Firma nach ihr. «In den Anfängen kam mehrmals die Suva zu mir und meinte, es sei verboten, was ich hier mache», erzählt er.

Im Vergleich zu Arbeiten auf Gerüsten oder Leitern würden bei der Arbeit am Seil wenig Unfälle passieren. «Auf einer Leiter habe ich Angst, am Seil nicht», sagt Laurent Lavignac. Obwohl es schon eine Rolle spiele, ob man sich 5 oder 80 Meter über dem Boden befinde. Oft übernehmen er und seine Leute Reinigungs-, Maler- und Spenglerarbeiten oder gehen auf Montage. An viele Gebäude, zum Beispiel an das KKL in Luzern, kehren sie immer wieder zurück. «Heute arbeiten wir eng mit Architekten zusammen», sagt er. Denn idealerweise werde schon beim Bau eines hohen Gebäudes daran gedacht, wie die Fenster geputzt würden.

Körperspannung und Konzentration

Alex Ruggiu und Fosco Jorio haben ein weiteres Stück Schiene für den Zylinder montiert. An Seilen lassen sie einen orangefarbenen Träger zu Boden gleiten. Zwischen zwei Streben der Dachkuppel machen sie den Träger jeweils fest und hängen sich daran ein, um zu arbeiten. Wie viele Kilogramm die Dachlast betrage, hätten Experten berechnet. Laurent Lavignac versichert aber, dass man von blossem Auge sehe, dass die Dachkonstruktion des Bourbaki Panoramas genug stabil sei.

Nun seilen sich auch die beiden Kletterer ab. Am Seil gearbeitet wird maximal sechs Stunden. Die Arbeit ist anstrengend, es braucht viel Körperspannung und absolute Konzentration. Die beiden landen sanft auf dem Faux Terrain zwischen Figuren, die zum Schutz mit dünnen Plastikfolien abgedeckt sind. Frauen und Männer stehen und knien im Schnee, sie versorgen französische Soldaten mit Essen und leisten Erste Hilfe. Die beiden Kletterer haben sich an die spezielle Umgebung gewöhnt. Sie lösen sich von den Seilen und hängen alles Material an den richtigen Platz am Klettergurt – wie beim Klettern –, damit beim nächsten Mal alles am richtigen Ort ist.

Autor / Autorin

Anita Bachmann

Industriekletterer müssen sich ausbilden

Die Ausbildung zum Industriekletterer umfasst drei Levels. Ohne Ausbildung darf nicht am hängenden Seil gearbeitet werden. Alle zwei Jahre muss zudem ein Auffrischungskurs besucht werden. Die Richtlinien und die Lehrgänge hat der Schweizerische Höhenarbeiten- und Rigging-Verband (SHRV) zusammen mit der Suva erarbeitet. Neben dem SHRV bieten unter anderem der Schweizer Bergführerverband, der Fachverband Seilarbeit Schweiz oder in der Westschweiz die Association d’entreprise de travaux sur cordes en Suisse Romande (ASRETC) Ausbildungen an. Für die italienischsprachige Schweiz gibt es Ausbildungsmöglichkeiten bei Campobase.

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