Kletterbissen
Wer in die Berge geht, kennt es: Um grosse Ziele zu erreichen, braucht man oft eine ordentliche Portion «Biss». Auf Klettertouren zum Beispiel tauchen immer wieder Schlüsselstellen auf, die einem alles abverlangen. Kraft, Nerven, Wille. In solchen Situationen hat man die Wahl: Entweder gibt man auf und geht enttäuscht nach Hause. Oder man nimmt den Kampf auf und beisst sich durch.
Nun, diesen Sommer erlebte ich einen Kletterbissen der neuen Art. Ich hatte für eine grössere Felstour in der Ostschweiz abgemacht. Voller Vorfreude stand ich in aller Herrgottsfrühe auf, um den ersten Zug zu erwischen. Ich duschte eilig, machte Kaffee – und kaum hatte ich den ersten Schluck genommen, schoss ein bestialischer Schmerz von einem Stockzahn ausgehend durch jede Faser meines Körpers. Mir wurde schwarz vor Augen, und ich musste mich hinlegen.
Ich lag dann mit diesem schwer aushaltbaren Schmerz da und überlegte. Die Klettertour wollte ich keinesfalls so kurzfristig absagen. Also kroch ich zum Medikamentenkästli und nahm Schmerzmittel. Sehr viel Schmerzmittel. Es half. Während der Anreise ins Klettergebiet verschwand die Pein, und als ich vor der grossen Felswand stand, hatte ich den Vorfall vergessen.
Die Kletterei begann problemlos, doch nach einigen Seillängen ging es wieder los mit dem Zahnweh. Ich musste im wahrsten Sinne des Wortes beissen, die Tour entwickelte sich zur reinen Kopfsache. Aber ich bin schliesslich Berner Oberländerin. Wenn es sein muss, gehe ich mit dem Kopf durch die Wand. Aufgeben ist keine Option.
Nach der Tour half allerdings nichts mehr, weder mein Berner Oberländer «Grind» noch die Schmerzmittel. Auf der Heimfahrt googelte ich nach einem zahnärztlichen Notfalldienst und ging vom Bahnhof direkt hin. Es stellte sich heraus, dass ich den Stockzahn zerbissen hatte! Nicht beim Klettern, sondern wahrscheinlich durch nächtliches Knirschen. Die Behandlung kostete ein Vermögen. Meine geplanten Kletterferien im Oktober in Frankreich kann ich mir nun nicht mehr leisten. Das schmerzt. Fast noch mehr als der Stockzahn.
