© Simon Boschi
«Ich bin stark auf Sicherheit bedacht» Interview mit Ständerätin Petra Gössi
Die FDP-Politikerin Petra Gössi ist eine leidenschaftliche Berggängerin und wandert als Ausgleich zu Beruf und Politik. Seit 2023 sitzt sie im Ständerat und vertritt als erste Frau den Kanton Schwyz. Den Kanton, der zum Teil sehr traditionell geprägt ist, sieht sie als Modell der Zukunft für die Schweiz.
Nimmt man Ihre Website als Referenz, gibt es zwei wichtige Dinge in Ihrem Leben: Politik und Wandern. Stimmt das?
(Lacht.) Ja, das stimmt. Das bisschen Freizeit, das neben Beruf und Politik bleibt, brauche ich, um den Kopf zu lüften. Das mache ich am liebsten draussen. Und wenn ich draussen bin, gehe ich wandern. Ich wohne am Fuss der Rigi. Wenn ich zur Haustür rauskomme, geht es nur noch aufwärts, bis ich auf dem Kulm bin.
Sie haben die Politik und das Wandern auch schon verbunden: Letztes Jahr, im Wahljahr, haben Sie zu sechs öffentlichen Wanderungen eingeladen. Was stand da im Vordergrund?
Beides. Ich habe Wanderungen ausgesucht, die für alle machbar waren. Und alle hatten die Gelegenheit, mit mir zu reden. Es gibt viele Leute, die nie an eine politische Veranstaltung oder an eine Parteiversammlung gehen würden, weil sie die Schwelle als zu hoch empfinden. Ich habe eine Aktivität ausgesucht, die ich und viele andere gern machen.
Sie wandern aber nicht nur, sondern besteigen auch Berge, darunter auch Viertausender.
Vor ein paar Jahren haben mein Partner und ich Freunde in Saas-Fee besucht. Ich fand, wenn wir schon in Saas-Fee sind, will ich einen Viertausender besteigen. Wir gingen aufs Allalinhorn und waren am Vorabend schrecklich nervös. Aber es hat uns so gefallen, dass wir die Ferien verlängerten und auch noch das Weissmies bestiegen. Seither gehen wir immer wieder ins Wallis und in die Hochalpen. Mir gibt das sehr viel.
Jetzt wollen Sie noch höher rauf, auf den Kilimandscharo.
Das planen wir im Herbst nach der Session. Wir sind fleissig am Kilometerablaufen, damit wir fit sind. Vor Kurzem haben wir drei Etappen des «Wegs der Schweiz» zurückgelegt. Das nächste Mal wollen wir alles an einem Stück machen. Die Vorfreude ist gross und gibt uns den Kick, viel unterwegs zu sein. Zudem war ich schon lange nicht mehr in einer anderen Kultur. Es ist mir wichtig, dass ich meinen Horizont immer mal wieder öffne.
Haben Sie einen Lieblingsberg?
(Überlegt.) Ich bewege mich überall dort gern, wo ich grad bin. Aber die Rigi ist ein Lieblingsberg, weil ich dort ständig hinaufgehe. Sie ist von mehreren Seiten erschlossen, und wenn man sich abseits der Hauptachsen bewegt, auf denen viele Touristen unterwegs sind, ist der Berg vielseitig. Faszinierend finde ich auch den Gross Mythen. Er ist sehr markant mit der roten Spitze. Ein so schöner Berg!
Sie üben zahlreiche Mandate in Vereinen und Verwaltungs- und Stiftungsräten aus, darunter auch bei der Rega. Mussten Sie die Rega selbst schon einmal in Anspruch nehmen?
Zum Glück nicht, und ich hoffe, dass es so bleibt. Einmal habe ich mir aber in einem Klettersteig im Oberengadin die Hand gebrochen. Es war alles offen, der Knochen zersplittert. Zum Glück waren wir schon weit oben und hatten die anspruchsvollen Passagen hinter uns. Ich musste mich ziemlich zusammenreissen.
Viele Berggänger müssen sich nicht weil sie verletzt sind rausfliegen lassen, sondern weil sie blockiert sind.
Das ist mir noch nie passiert. Ich nehme lieber einen Bergführer mit oder gehe mit jemand anders mit viel Erfahrung. Ich möchte auch das richtige Equipment dabeihaben. Einmal ging ich spontan aufs Jungfraujoch und hatte nur Turnschuhe dabei. Da habe ich mich über mich selbst genervt. Ich bin stark auf Sicherheit bedacht. Berge sind Natur, und man kann viel verhindern, wenn man sich richtig vorbereitet und die einfachsten Sicherheitsmassnahmen einhaltet.
Was sind die grossen politischen Herausforderungen in der Schweiz?
Es kommt jetzt eine Zeit, in der das Geld nicht mehr für alle Herausforderungen und Begehrlichkeiten zur Verfügung steht, sondern in der wir auf die finanziellen Mittel achten müssen. Gleichzeitig gibt es mehr Kriege, selbst auf europäischem Boden, das geht mir nahe. Auch die grossen Flüchtlingsströme werden zunehmen. Und gerade erleben wir wieder Überschwemmungen. Einschneidende Wetterereignisse werden in Zukunft häufiger. Viele Sicherheiten, die wir früher hatten, haben wir jetzt nicht mehr.
Welchen Handlungsbedarf sehen Sie beim Klimawandel?
Es braucht Massnahmen, mit denen wir uns schützen können, denn auf die Schnelle können wir den Klimawandel nicht ändern. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. Ich nehme eine grosse Kritik gegenüber der Wissenschaft wahr, politisch wird vieles negiert. Das führt nicht zum Ziel. Das Akzeptieren von Tatsachen kann viel zur Lösungsfindung beitragen. Das ist ein Wunsch, den ich allgemein an die Politik habe.
Spielten die Berge eine Rolle, als Sie als FDP-Präsidentin die Partei auf Klimakurs brachten?
Mir war wichtig, dass sich die FDP auch zum Thema Klima und Umwelt äussert. Davor hatten wir keine Positionierung, das Thema war bei uns nicht mehr präsent. Und dies, obwohl der Natur- und Umweltschutz beispielsweise im Parteiprogramm der 1980er-Jahre noch ein wichtiger Bestandteil war. Den Klimawandel sieht man in den Bergen sehr schnell und plastisch.
Letzten Herbst wurden Sie als erste Frau in den Ständerat für den Kanton Schwyz gewählt.
Was mich mit grossem Stolz erfüllt. Ich bin sehr dankbar fürs Vertrauen der Bevölkerung.
Trotz allem, ist das nicht bemerkenswert im Jahr 2023?
(Lacht.) Den Schwyzerinnen und Schwyzern ist es nicht so wichtig, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Um in ein solches Amt gewählt zu werden, braucht es einen langen Biss in der Politik. Es gibt nicht so viele Frauen, die für ein solches Amt zur Auswahl stehen. Der Kanton Schwyz ist noch sehr traditionell geprägt, auch in den Familienstrukturen. Viele Frauen arbeiten im Gewerbebetrieb der Familie und kümmern sich um ihre Kinder. Wir leben im Land von Corinne Suter und Wendy Holdener. Ich habe viele Kolleginnen, die ihre Kinder jeden Mittwochnachmittag ins Training zum Skiclub bringen. Am Wochenende finden Skirennen statt. Da bleibt keine Zeit mehr für Politik.
Auch Sie mögen Traditionelles, zum Beispiel den Schwingsport.
Ja, ich gehe jedes Jahr an mehrere Schwingfeste. Am besten gefallen mir die Bergfeste. Dieses Jahr gehe ich sicher ans Rigischwinget. Und am Tag der Tracht im Bundeshaus trage ich jeweils meine Schwyzer Werktagstracht. Die hat mir meine Mutter genäht, als ich 14 Jahre alt war. Ich sehe im Kanton Schwyz das Modell der Zukunft für die Schweiz. In Innerschwyz ist das Traditionelle sehr wichtig, Einsiedeln ist ein richtiges Sportlerdorf, und Ausserschwyz ist stark Richtung Zürich orientiert. Aber der Kanton funktioniert trotz den unterschiedlichen Regionen sehr gut.
Was ist das Rezept?
Wir müssen aufeinander hören, zusammen reden und dann zusammen nach Lösungen suchen. Das Selbstverständnis, dass der Staat alles lösen kann, ist bei uns im Kanton Schwyz zudem kaum vorhanden. Die Schwyzer schauen zuerst mal selbst, das ist unser Naturell.
Und was gefällt Ihnen an Schwingfesten?
Nebst dem Hochleistungssport, der dort betrieben wird, das friedliche Miteinander. Es treffen alle Bevölkerungsschichten aufeinander. Und es müssen immer wieder Entscheide gefällt werden, die umstritten sind und über die manchmal noch tagelang diskutiert wird. Aber sie werden akzeptiert. Das ist gelebte Demokratie. Da kann man viel daraus lernen: Nur weil man eine andere Meinung hat, heisst das nicht, dass man recht hat.