© Anita Bachmann
«Es braucht einen langen Atem»
Weil der infolge des Klimawandels auftauende Permafrost viele Herausforderungen mit sich bringt, ist das Interesse an der Forschung in diesem Gebiet gestiegen. Eine, die sich hier besonders gut auskennt, ist Jeannette Nötzli. Sie betreut das Schweizer Permafrostmessnetz. Wir haben sie bei der Feldarbeit begleitet.
Wer wusste vor 20 Jahren, was Permafrost ist? Wohl nur wenige. Heute wird über den gefrorenen Boden in der Höhe oft in den Medien berichtet. Nicht selten gibt dazu Jeannette Nötzli Auskunft. Sie ist Permafrostforscherin am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos. Wegen des Klimawandels und der Erderwärmung taut der Permafrost. Das kann die dauernd gefrorenen Berge instabil machen und vermehrt zu Felsstürzen und Murgängen führen. Jeannette Nötzli beschäftigt sich seit bald 20 Jahren mit dem Thema und sagt rückblickend: «Ich war damals im richtigen Moment am richtigen Ort.»
Sie studierte an der Universität Zürich Geografie und Informatik. In ihrer Diplomarbeit bei Wilfried Haeberli dokumentierte sie Felsstürze aus Permafrostgebieten. Wilfried Haeberli war ein Pionier in diesem Bereich. «Er hat in den 1970er-Jahren angefangen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen», sagt Jeannette Nötzli. Die weltweit längste Messreihe im Gebirge geht auf das Jahr 1987 zurück und stammt vom Piz Corvatsch im Oberengadin.
Auf der anderen Talseite steigen nun Jeannette Nötzli und Matthias Lichtenegger, Doktorand am SLF, in die Fuorcla Valletta auf knapp 2900 Metern über Meer hinauf. «Es ist wichtig fürs Verständnis, auch selbst Feldarbeit zu machen», sagt sie. Ihr Arbeitsalltag findet sonst im Büro statt. Ein wichtiger Teil ihrer Tätigkeit ist die Koordination des schweizerischen Permafrostmessnetzes Permos, das aus rund 30 Messstationen besteht. Sie sammelt die von allen Partnerinstitutionen erhobenen Daten, wertet sie aus und berichtet über den Zustand und die Veränderungen im Permafrost in den Schweizer Alpen. «Es braucht einen langen Atem», sagt sie. Aber mittlerweile seien die Messreihen lang genug, um Änderungen im Permafrost zu zeigen.
Hand in Hand arbeiten
Auf der Fuorcla Valletta öffnet sich der Blick Richtung Val Bever. Nur wenige Meter unterhalb des Passes liegt das Ziel von Jeannette Nötzli: ein Blockgletscher. Die Bezeichnung sei ein bisschen missverständlich, vielmehr handle es sich dabei um eine mit Eis vermengte Schutthalde, die langsam talwärts krieche. Blockgletscher sind die sichtbarste Form von Permafrost im Gebirge und werden deshalb schon am längsten beobachtet. «Hier misst man seit 1998. Wir haben die Messreihen von einem japanischen Professor übernommen, als er in Pension ging», sagt Jeannette Nötzli. Eine solch lange Messreihe sei wertvoll, und sie werde deshalb vorschlagen, die Reihe bei Permos aufzunehmen.
Jeannette Nötzli und Matthias Lichtenegger arbeiten Hand in Hand. In den nächsten drei Stunden steigen sie über den Blockgletscher ab und auf. Sie suchen die Messpunkte und die Logger, die unter ein paar Steinen versteckt sind und während des ganzen Jahres Temperaturmessungen aufgezeichnet haben. Er vermisst die Punkte mit einem GPS-Gerät. Sie markiert die Punkte neu, behält mithilfe eines Plans den Überblick und lädt mit einem Handy die Daten von den Loggern runter. Das braucht Geduld. Nicht immer ist klar, warum die Verbindung mit dem Logger nicht oder nur schwer aufgebaut werden kann. Aber Jeannette Nötzli nimmt es mit Humor und sagt lachend: «Ich schätze es, an der Sonne zu sitzen und das Panorama zu geniessen.» Zudem ist sie auf solche Fälle vorbereitet und hat Ersatzlogger dabei, um jene zu ersetzen, die keine Antwort geben.
Klimawandel ist wissenschaftlich spannend
Es ist einer dieser heissen Septembertage 2023. MeteoSchweiz hat gemeldet, dass es speziell oberhalb von 2500 Metern erneut ausserordentlich warm werde, und neue Temperaturrekorde verzeichnet. An den umliegenden Bergen, viele davon über 3000 Meter hoch, liegt kein einziges Schneefeld mehr. Der Klimawandel und die damit verbundenen Veränderungen im Gebirge lösen bei Jeannette Nötzli aber nicht nur Sorgen aus. «Die Veränderungen sind auch beeindruckend und wissenschaftlich spannend», sagt sie. Es passiere etwas, und mit den langen Messreihen liessen sich die Veränderungen beschreiben. Doch befürchtet sie nicht, dass der Permafrost ganz verschwindet? Die Gletscherforscher beispielsweise geben jährlich lange Messreihen auf, weil Gletscher nicht mehr existieren. Beim Permafrost gehe es nicht so schnell, weil der Wärmetransport in den Untergrund ein sehr langsamer Prozess sei, sagt sie. «Die Blockgletscher werden nicht ganz verschwinden.» Aber wenn das Eis weg ist, hören sie auf zu kriechen und fallen zusammen. «Dann nehmen sie eine relikte Form an», sagt sie. Und bestehen nur noch als Landschaftsform weiter.
«Ich habe viele Ideen»
Jeannette Nötzli ist zufrieden, alle Daten sind im Kasten, und der Abstieg bildet den lockeren Ausklang dieses Feldtags. Bei einem erfrischenden Pfefferminzsirup bei der Bergstation Curaglia sinniert sie über ihre berufliche Zukunft. «Manchmal werde ich gefragt, ob ich jetzt bis 65 für Permos arbeiten will», sagt sie und lacht. Sie mache es immer noch sehr gerne. «Die Schweiz hat als erstes Land ein nationales Permafrostmessnetz aufgebaut.» Die Arbeit sei vielfältig und ändere sich immer wieder, weil zum Beispiel neue Messmethoden entwickelt würden. Zudem könnte der umfangreiche und ständig wachsende Datensatz noch mehr ausgewertet werden. «Man könnte die Daten zum Beispiel überregional zusammenbringen», sagt sie. Skandinavische Länder, aber auch Italien und Frankreich hätten mittlerweile ebenfalls umfassende Permafrostdaten. «Ideen habe ich viele», sagt sie lachend.