© David Schweizer
Die Routenbauer weisen den Weg
Die weltbesten Kletterinnen und Kletterer erwarten diesen Sommer an der WM Sportklettern 2023 in Bern, dass man sie dazu bringt, ihr Bestes zu geben. Das ist die Herausforderung für die Routenbauer. Über ihre Arbeit haben wir mit dem Berner Manuel Hassler gesprochen.
Manuel Hassler hat den Kopf voller Routen. Sein Job ist es, sie an den Kletterwänden zu realisieren, wie ein Schriftsteller, der Worte zu Papier bringt. Als einziger international tätiger Schweizer Routenbauer reist er seit 2001 von einem Kletterwettkampf zum nächsten. Dabei leitet ihn eine Idee: Er will seine Disziplin weiterentwickeln, indem er die besten Kletterer der Welt dazu bringt, sich immer wieder zu übertreffen. Das wird auch diesen Sommer in Bern nicht anders sein, wo drei internationale Routenbauer mit ihren nationalen Kollegen versuchen, den Athleten eine Challenge zu bieten.
Das Material ist entscheidend
In Bern werden die Routenbauer rund 5000 Klettergriffe und Volumen von fünf verschiedenen Herstellern zur Verfügung haben. Sie stehen vor der schwierigen Aufgabe, den Kletterwänden ein Profil zu verleihen und 12 Routen sowie 52 Boulderprobleme für die klassischen Wettkämpfe zu gestalten. Um die Routen für die Paraclimbing-Wettkämpfe wird sich ein Team von spezialisierten Routenbauern kümmern. «Das Material ist entscheidend für die Qualität der Route, denn man kann nicht jede beliebige Bewegung mit jedem beliebigen Klettergriff zustande bringen», erklärt Manuel Hassler. Als er vor rund 15 Jahren mit seiner Arbeit begann, war der Markt viel kleiner, das Angebot an Griffen war begrenzt und niemand konnte sich grossformatige Griffe leisten. Die grössten hatten damals einen Durchmesser von höchstens 20 Zentimetern, heute gibt es Griffe mit bis zu zwei Metern Durchmesser. Mit der rasanten Entwicklung in den letzten Jahren hat sich das Repertoire der Routenbauer stark erweitert. Die grossen Griffe, auch Macros genannt, verleihen der Wand eine dritte Dimension und damit erweiterte Bewegungsmöglichkeiten. Sie treten sozusagen aus der Wand heraus und machen die Route luftiger.
Den Klettersport weiterentwickeln
Für den Boulderspezialisten Manuel Hassler besteht die Kunst des Routenbauens darin, die Athleten zu neuen Bewegungen anzuspornen und so die Entwicklung des Klettersports voranzutreiben. «Man muss sich trauen, Risiken einzugehen», sagt er. Wenn jeder Boulder nur einmal getoppt wird, ist es ideal. Wenn es niemand schafft, haben die Routenbauer zu viel riskiert. Wenn aber alle oben ankommen, ist es nicht möglich, die Athleten zu klassieren. «Du wünschst dir immer, dass es klappt, aber du wirst oft überrascht.» Manuel Hassler liebt diese Ungewissheit. «Erst nach der Qualifikation weiss man, ob die Schwierigkeiten dem aktuellen Durchschnittsniveau entsprechen. Wenn nötig, werden vor dem Halbfinal Anpassungen vorgenommen. Und im Zweifelsfall diskutiert man im Team.»
Beim Bouldern versuchen die Routenbauer verschiedene Stile anzubieten, um zu vermeiden, dass ein Athlet bevorzugt wird. Drei Routenstile wechseln sich ab: der eher technisch und wenig dynamische Stil; der dynamische Boulder, zu dem auch Sprünge gehören; und der «Power»-Boulder, der auf Kraft basiert, inklusive Fingerkraft. Die drei Stile können kombiniert werden. «Das ist das Schöne an der Kletterhalle. Du kannst von den Bewegungen her viel verrücktere Sachen machen als im Fels. Ich lasse mich oft von Bouldern in der Natur inspirieren, aber in der Halle kann ich drei oder vier Probleme in einem einzigen Boulder kombinieren.»
Das richtige Mass finden
Nach der starken Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist die Arbeit der Routenbauer ins Stocken geraten. Es sei schwierig geworden, innovativ zu sein, sagt Manuel Hassler. «Die Athleten sind so vielseitig, dass man sie kaum überraschen kann. Nichts scheint für sie unmöglich. Das erhöht den Druck auf die Routenbauer.» Nach der Revolution des Materials erwartet er neuen Schwung, der von einer neuen Generation von Routenbauern kommen müsse. «Mit 42 Jahren gehöre ich langsam zu den Alten. Wir brauchen neue Ideen.» Die Routenbauer müssen sich auch mit der Kritik auseinandersetzen, die in den letzten Jahren von Athletinnen und Trainern auf höchstem Niveau geäussert wurde. Die Wettkampfrouten seien zu Zirkusnummern geworden und hätten zu vielen Verletzungen geführt, so die Meinung einiger. Für Manuel Hassler ist es eine Frage des richtigen Masses. «Vor einigen Jahren übertrieb man es mit dem Jump-and-Run-Stil. Heute spielen Sprünge auch noch eine Rolle, aber es ist eine Frage der Dosis. Man muss variieren.» Die Lösung werde man im Dialog zwischen Kletterern und Routenbauern finden. Manuel Hassler weiss, dass während eines Wettkampfs Druck auf den Athletinnen und Athleten lastet. «Der Kontext des Wettkampfs könne Athleten deshalb zu Kamikaze-Aktionen verleiten», sagt er. Wie der Schriftsteller, der es sich nicht erlauben kann, seine Leserschaft zu verlieren, so müssen auch die Routenbauer dafür sorgen, dass die Athletinnen und Athleten ihre Ideen entschlüsseln können. Für die WM Sportklettern 2023 in Bern haben sie bis zum Sommer Zeit, um Inspirationen zu finden.