© Susann Reinhard Fotografie
«Die Natur wird sich immer wieder aufs Neue regulieren können»
Drei Kochbuch-Bestseller innert fünf Jahren: Nadia Damaso, die in den Bergen aufgewachsen ist, hat mit ihren aussergewöhnlichen Rezepten den Nerv der Zeit getroffen. Dabei war ihr der wirtschaftliche Erfolg gar nie wichtig.
Nadia Damaso, sind Sie eine Starköchin?
Nadia Damaso: Die Bezeichnung passt nicht zu mir. Ich koche in erster Linie aus Leidenschaft, um mich kreativ auszudrücken. Dass ich damit Erfolg habe und Geld verdiene, ist natürlich schön, aber es war nie mein Ansporn. Ich stand schon als zehnjähriges Mädchen gern stundenlang in der Küche und habe für meine Familie Rezepte ausprobiert.
Sind sie immer gelungen?
Die meisten, ja. Ich würde auch nur etwas servieren, das mir selbst gut schmeckt. Ich koche meistens aus einem Gespür heraus. Ich lasse mich von der Natur leiten. Es kommt oft vor, dass mich die Farben am Himmel oder eine karge oder blühende Berglandschaft zu einem Gericht inspirieren. Farben sind ein wichtiges Element meiner Arbeit. Ich koche eigentlich nie nach Rezept.
Sie veröffentlichen Rezepte, aber kochen selbst nicht danach?
Genau. Meine Rezepte sind so aufgebaut, dass man selbst kreativ werden kann und sie nicht auf das Gramm genau nachkochen muss. Sie sollen nicht einschränken, sondern dazu anregen, selbst zum Künstler in der Küche zu werden. Es macht mir viel Freude, meine Ideen weiterzugeben.
Hat man als Bestsellerautorin den Anspruch, besser zu sein als andere?
Ich mag den Wettbewerb nicht, ich mochte ihn noch nie. Ich stamme aus einer Sportlerfamilie und habe als Kind viele Jahre an Langlauf-Wettkämpfen teilgenommen – doch es war nie mein Ding. Sich mit anderen zu messen, ergibt keinen Sinn für mich. Ich mag es jedoch sehr, mich mit mir selbst zu messen, mich selbst herauszufordern.
Etwa wenn Sie von Pontresina aus die Berge besteigen?
Zum Beispiel. «Wie schnell komme ich heute auf diesen Berg?» – «Wie lange halte ich es im eiskalten Bach aus?» Zu spüren, wie man stärker wird – physisch, mental und geistig – ist ein unglaublich gutes Gefühl.
Was geben Ihnen die Berge?
Ach. So viel. Sie sind meine Heimat. Mein Kraftort. Wenn man auf 1800 Metern aufgewachsen ist, bleibt man für immer mit ihnen verbunden. Es ist jedes Mal etwas Besonderes, nach Hause zu kommen. Wenn ich bei meinen Eltern übernachte oder Kurzferien mache, gehen wir meistens gemeinsam in die Berge. Wir steigen auf Berge, unternehmen Skitouren oder Velotouren, gehen klettern … Es gibt kaum eine Aktivität, die wir nicht machen in den Bergen.
Besuchen Sie auch Berghütten?
Klar. Zur Chamanna da Boval CAS etwa sind es von Pontresina gut zehn Kilometer. Die besuchen wir regelmässig.
Essen Sie dort etwas?
Nein. Das hat aber nichts mit der Qualität des Essens auf der Hütte zu tun. Ich esse nie etwas, wenn ich unterwegs bin. Ich lade meine Gedanken und meinen Körper mit frischem Wind auf, mit der Energie der Natur – das ist auch Nahrung für mich. Der Körper kommt mit weniger aus, als viele glauben. Und Verzicht kann etwas Schönes sein. Ich esse wirklich fast nie aus Gewohnheit, sondern nur, wenn ich Lust dazu habe und mein Körper es verlangt. Dann kann man das Essen auch viel mehr geniessen.
Wie sieht denn Ihr Tag aus? Wie viele Mahlzeiten gibt es?
Ich stehe zwischen acht und neun Uhr auf. Dann arbeite ich oder verbringe Zeit in der Natur. Dort finde ich Inspiration. Meine Wohnung liegt direkt am Waldrand. Es gibt dort einen eiskalten Bach, in dem ich baden gehe, und es gibt viele Bäume, die mir Energie geben. Gegen drei Uhr nachmittags esse ich zum ersten Mal etwas, das ist mein Frühstück. Später treibe ich Sport, nehme Termine wahr oder arbeite an meinem neuen Kochbuch, meinem Musikalbum oder sonstigen Projekten. Die zweite Mahlzeit koche ich gegen Mitternacht. Dafür nehme ich mir gerne und bewusst Zeit. Ich probiere neue Dinge aus, höre Musik und geniesse das Essen. Dann arbeite ich meist noch etwas und gehe zwischen drei und vier Uhr zu Bett. Ich brauche nicht viel Schlaf.
Ist das alles mit Freunden und der Familie zu vereinbaren?
(Lacht.) Ich kann mich auch anpassen. Wenn ich in Pontresina bin und für meine Eltern und meine Schwester das Abendessen zubereite, einigen wir uns auf eine Zeit, die allen passt. Wir essen dann gegen sieben oder acht Uhr abends.
Sie kochen auch für grosse Gesellschaften von 40 bis 60 Personen. Benötigen Sie viel Vorbereitungszeit?
Drei bis vier Stunden. Ich gehe auf den Markt, kaufe ein, was gut und frisch ausschaut, und sobald ich die Zutaten habe, setzt sich in meinem Kopf alles zusammen. Das Wichtigste ist für mich, mit dem Essen Emotionen zu transportieren. Das geht für mich nur, wenn ich mich in meiner Kreativität nicht einschränken lasse und ganz nach meinem Gefühl und mit viel Liebe koche.
Kochen Sie auch Fleisch?
Nein. Meinen letzten zwei Kochbücher beinhalten ausschliesslich pflanzliche Rezepte. Für mich persönlich haben wir eine solch grosse Auswahl an pflanzlichen Zutaten, dass ich keine Tierprodukte brauche. Und natürlich liegen mir die Tiere auch am Herzen. Über das Leben von einem anderen Lebewesen zu entscheiden, fühlt sich für mich nicht richtig an. Jeder soll das tun, was er für richtig hält. Wichtig sind aber die Achtsamkeit und das Bewusstsein dabei.
Die Berge sind stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Wie denken Sie darüber?
Ich erinnere mich an den Morteratschgletscher aus meiner Kindheit und sehe, wie viel Volumen er in den letzten Jahren verloren hat. Die Natur war schon lange vor der Existenz der Menschheit da. Natürlich kann man sich Sorgen machen, doch die Kraft der Natur ist stärker als alles andere, sie wird sich immer wieder aufs Neue regulieren können. Wenn wir Menschen etwas kaputt machen, dann uns selbst. Je mehr wir uns mit der Natur verbinden, desto mehr schätzen wir sie und somit auch uns selbst. Das hat einen achtsameren Umgang mit der Natur im Alltag sowie mit unseren Mitmenschen zur Folge.
Sie reisen aber auch oft nach Hawaii …
Das tue ich, Hawaii ist ein Kraftort für mich, mit dem ich mich sehr verbunden fühle und an dem ich auftanken kann. Natürlich kann man sagen, das sei nicht nachhaltig. Doch das, was mir Hawaii gibt, hilft mir, in vielen anderen Bereichen nachhaltiger und bewusster zu leben.
Warum am anderen Ende der Welt?
Für mein zweites Buch war ich sechs Monate pausenlos am Arbeiten. Ich spürte stark, dass ich eine kleine Auszeit brauche. Ganz zufällig bin ich auf ein Video von jungen Leuten in Hawaii gestossen, die durch die Natur wandern, Lebensfreude versprühen und die Einfachheit des Lebens geniessen. Das hat mich so inspiriert, dass ich kurz danach einen Flug gebucht habe. An meinem ersten Tag in Hawaii habe ich dann genau diese Gruppe im Supermarkt kennengelernt. Sie sind mittlerweile wie eine Familie, und Hawaii wurde ein zweites Zuhause für mich.
Sie bieten Kochworkshops an, geben Vorträge und organisieren Dinner-Events. Wird sich Ihr Leben fortan ums Kochen drehen?
Es wird sicher immer ein Teil von mir sein, doch es kann sich schnell viel verändern. Ich bin offen für alles. Solange ich mir selbst treu bleibe, meinen Träumen folge und viel Herzblut in mein Tun stecke, weiss ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Derzeit mache ich beispielweise Musik. Das erste Album soll Ende Jahr fertig sein. Sie sehen, es wird mir nicht langweilig.