Die Königin der Berghütten | Schweizer Alpen-Club SAC
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Die Königin der Berghütten Capanna Regina Margherita (4554 m)

Zuoberst auf der Signalkuppe, mitten im Monte-Rosa-Massiv, steht in schwindliger Höhe eine einzigartige Hütte: die Capanna Regina Margherita. Sie ist die höchstgelegene Unterkunft im Alpenraum und einer italienischen Königin gewidmet.

Mitte August, halb sechs Uhr morgens auf über 4500 Metern. Es ist still, und das Spektakel nimmt seinen Lauf: Der nachtschwarze Himmel verfärbt sich allmählich königsblau, Stern um Stern verblasst am Firmament, die Horizontlinie leuchtet auf, zuerst rot, dann orange, bis die Sonne langsam und unaufhaltsam auftaucht und alles in warmes Licht taucht. Ringsum beginnen die Spitzen unzähliger Gipfel zu leuchten, wie weit verstreute Kerzen. Langsam verbreiten die Sonnenstrahlen Wärme. Das alltägliche Schauspiel des Tagwerdens verschlägt einem die Sprache.
Vom Holzbalkon sind es nur ein paar Schritte in den Speisesaal zurück, dort warten Espresso und Frühstück. Was für ein Tagesanbruch! Dass dies alles ohne Biwakausrüstung geht, und erst noch auf einem der höchsten Gipfel der Alpen, ist ihr zu verdanken: der Capanna Regina Margherita. Eine ausserordentliche Berghütte mit einem ausserordentlichen Namen.

Eine Initiative der Familie Sella

Die Idee dazu kommt Vittorio, Corradino, Gaudenzio und Erminio Sella bei der Besteigung der Dufourspitze über die Cresta Rey im Februar 1889. Die Söhne und Neffen von Quintino Sella, dem Gründer des Club Alpino Italiano (CAI), sind nicht nur erfolgreiche Alpinisten mit einem Flair für anspruchsvolle Winterbegehungen, sondern auch ausgesprochen umtriebig und zupackend. Im «Bollettino», der Zeitschrift des CAI, schildern sie die Tour und fügen eine längere Bemerkung an, mit der sie die Errichtung einer Berghütte auf einem hohen Gipfel anregen.

«Wer eine echte Leidenschaft für die Berge hat, begnügt sich nicht damit, einen Gipfel zu erreichen und dann möglichst rasch wieder abzusteigen; er möchte oben verweilen, bewundern, sich erfreuen. (…) Im Übrigen ergeben sich die schönsten Aussichten und die wundervollsten Lichteffekte beim Morgenrot und Sonnenuntergang, dann also, wenn man selten auf dem Gipfel sein kann. Kommt hinzu, dass sich die Besteigungen nur bei gutem Wetter machen lassen, die Naturphänomene in grosser Höhe aber erst bei schlechtem Wetter ihre unvergleichliche Grossartigkeit erlangen. Nun, da die wichtigsten Berge über Hütten verfügen, die den Aufstieg halbieren, muss man einen Schritt weitergehen und eine Hütte in grösster Höhe errichten, in der man einige Tage verbringen kann, vielleicht auch im Winter.»

Daneben unterstreichen die Sellas die Bedeutung einer solchen Hütte für die meteorologische Forschung. Dann werden sie konkret: Die Hütte muss leicht erreichbar sein und einen lawinensicheren, nicht allzu langen Zugang aufweisen. Mont Blanc, Matterhorn, Dufourspitze und Nordend schliessen sie deshalb als Standorte aus. Als geeignet scheinen ihnen dafür zwei andere Gipfel am Monte-Rosa-Massiv: Zumsteinspitze und Signalkuppe.

Besuch aus höchstem Haus

Die Idee stösst bei den Delegierten des CAI auf Sympathie, eine Kommission empfiehlt die Signalkuppe als Standort. Bereits 1890 beginnen auf 4554 Metern die Sprengarbeiten, um einige Dutzend Kubikmeter Fels zu entfernen und eine Plattform zu gewinnen. Die Hütte selbst wird in Biella aus widerstandsfähiger Pechkiefer gezimmert, im Sommer 1891 nach Gressoney gefahren und dort provisorisch zusammengesetzt. Im gleichen Herbst erfolgt der Transport der Einzelteile bis zum Gletscherrand auf etwa 3140 Metern. Von dort werden die gut zehn Tonnen Material im Sommer 1892 zum Fuss der Gipfelflanke gebuckelt, und im Sommer 1893 erfolgt die Montage vor Ort. Die Hütte wird fest mit dem Felsen verschraubt, um Windstärken von weit über 200 Kilometern pro Stunde standzuhalten, eine vollständige Kupferverkleidung, inklusive Hüttenboden, soll für den wichtigen Blitzschutz sorgen.


Mitte August ist das Gebäude weitgehend betriebsbereit und erhält gleich Besuch aus höchstem Haus: Margherita von Savoyen, Regina d’Italia, besteigt am 18. August die Signalkuppe, übernachtet mit ihrer Entourage im 35 Quadratmeter kleinen Neubau, geniesst am nächsten Tag den Sonnenaufgang und steigt nach dem Gottesdienst wieder nach Gressoney ab, wo sie zwei Jahre zuvor den zusammengesetzten Rohbau auf den Namen «Capanna Osservatorio Regina Margherita» getauft hatte. Die offizielle Einweihung findet danach am 4. September 1893 statt. Es ist bis heute die höchstgelegene Hütte der Alpen.

Die Taufpatin könnte nicht besser zum Ort passen. Königin Margherita liebt die Berge und unternimmt immer wieder Touren im privaten Kreis. Als sich 1907 in London der Ladies’ Alpine Club formiert, wird sie zur ersten Ehrenpräsidentin erkoren – ein Amt, das sie bis zu ihrem Tod 1926 ausfüllt. Sie ist bereits zu Lebzeiten populär, und ihr Name lebt heute nicht nur in der beliebtesten Pizza weiter: Punta Margherita heisst ein Gipfel der Grandes Jorasses, Margherita Peak der Kulminationspunkt des Ruwenzori, mit 5109 Metern der dritthöchste Berg Afrikas.

Abriss und Neubau

Seit 1893 blinzelt also auf einem der Zacken des Monte Rosa eine majestätische Berghütte, Unterkunft für Alpinisten und Labor für Forscherinnen zugleich. Sie ist fein, aber irgendwann zu klein. 1978 wird der historische Bau abgerissen, 1980 ein Neubau eingeweiht. Obwohl deutlich grösser, erinnert er an seine Vorgängerin – und wirkt weiterhin wie eine Arche, die auf wundersame Weise auf der Eisklippe der Signalkuppe gestrandet ist.
Vor fünf Generationen entworfen und realisiert, fasziniert das Haus über den Wolken bis heute. Und auch wenn auf über 4500 Metern Kopfschmerzen drohen: Eine Nacht auf der Königin der Hütten bleibt ein einmaliges Erlebnis. Nur schon wegen der höchstgelegenen Terrasse der Alpen mit dem Sonnenaufgang – und dem Espresso.

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