Das gespickte Seil
Folgende Zeilen handeln von einem Gerät, das wohl auf keiner Bergtour mehr fehlt: vom Smartphone. Es dient uns für allerlei Zwecke. Selbst halte ich es mit diesem schlauen Ding so: Ich schalte es auf Flugmodus, sobald die Bergtour beginnt, und bleibe für den Rest des Tages unerreichbar. Meinetwegen kann im Büro, zu Hause oder in der Welt passieren, was will. Ich bin weg. So viel Egoismus gönne ich mir.
Nun habe ich aber einen Kletterfreund, der auf Touren telefoniert, Nachrichten schreibt oder E-Mails beantwortet. Er ist so fit, dass er mit dem schwersten Rucksack auf dem Buckel die steilsten Hänge hochsteigen kann, ohne ins Keuchen zu kommen. Die Zeit nutzt er, um Geschäftliches zu erledigen. Mir ist das egal. Ausser wenn er mich in einer Mehrseillängenroute sichert und gleichzeitig telefoniert. Das macht mich rasend, und ich fauche ihn dann an wie eine Furie. Er nimmt den Rüffel stoisch hin. Und manchmal macht er einfach weiter, sobald ich ausser Sichtweite bin.
Einmal zahlte ich ihm seine Unsitte heim. Es war im Winter in einem sehr abgelegenen Seitental. Wir hatten eine lange Route in Eis und Fels geklettert, seilten ab und erreichten den untersten Standplatz. Von hier liess ich mich zuerst herab. Er tippte derweil eine Nachricht, ohne mich zu beachten. Unten angekommen, blieb ich nicht stehen, um mich vom Seil zu lösen. Ich stapfte zu Fuss den Schneehang hinab, das Seil spannte und spickte am Ende mit viel Energie aus meinem Abseilgerät. Oben bei ihm schnellte das Seil ungewöhnlich hoch. Er dachte in dieser Sekunde, ich sei abgestürzt, und liess vor lauter Schreck sein Smartphone fallen. Es flog im freien Fall 50 Meter runter. Während ich unten lachte, hörte ich ihn fluchen wie noch nie.
Er fluchte dann noch lange. Sein Smartphone war im Tiefschnee gelandet und verschwunden. Wir fanden es nur, weil ich ausnahmsweise bereit war, bei mir den Flugmodus aufzuheben und sein Gerät anzurufen. Es klingelte leise durch die Schneedecke. Für Nachrichten und E-Mails war es unflickbar kaputt. Er musste ein neues kaufen. Selbst schuld.