© Anita Bachmann
Choreografinnen der Bewegung Routenbau-Workshops für Frauen
Friederike Traub und Alise Zvigule sind professionelle Routenbauerinnen. Jetzt geben sie im Auftrag des SAC ihre Erfahrung in Workshops für Frauen weiter. Und machen Networking.
Es ist ein gewöhnlicher Freitagnachmittag in Zürich, und obwohl sich der Sommer von seiner guten Seite zeigt, ist die Boulderhalle Minimum an der Flüelastrasse bereits gut besucht. Bouldern und Klettern boomen in der Schweiz seit Jahren. Doch die vielen Routen müssen gebaut und für die regelmässigen Besucherinnen und Besucher möglichst häufig gewechselt werden. Heute ist einer dieser Umschraub-Termine, die die Verantwortlichen der beiden Minimum-Filialen in Zürich jeweils kommunizieren.
In zwei Bereichen der Halle sind die Wände fast leer geräumt. Am Werk sind acht Frauen. Sie besuchen einen der fünf Routenbau-Workshops für Frauen, die verteilt über den Sommer und den Herbst an verschiedenen Orten in der Schweiz stattfinden. Geleitet werden die Workshops im Auftrag des SAC von Alise Zvigule und Friederike Traub, um die Vielfalt und die Entwicklung des Routenbaus in der Schweiz voranzutreiben.
Zwar gibt es gemäss der aktuellen Mitgliederbefragung des SAC mehr Frauen als Männer, die indoor bouldern und klettern, aber im Routenbau sind sie stark in der Minderheit. «Eine Verbesserung ist spürbar, mittlerweile gibt es in fast jeder Halle auch eine Frau», sagt Friederike Traub. Beim Wettkampfklettern in der Schweiz ist es inzwischen Pflicht, eine Frau im Routenbauteam zu haben. «Es geht nicht nur um die Genderfrage, sondern um Diversität», sagt Alise Zvigule. «Ein diverses Team ist sehr wichtig, es kann die verschiedenen Grössen, Formen und Perspektiven der Kletterinnen und Kletterer berücksichtigen.»
«Das Technische ist schnell gelernt»
Bevor die Workshopteilnehmerinnen die letzten Griffe der alten Routen abmontieren, lernen sie im Theorieteil alles über Griffe, Schrauben und Akkuschrauber. Im Materialraum machen sie sich mit den Arbeitsgeräten und -materialien vertraut. Ausgerüstet mit Schutzbrillen und Handschuhen schrauben sie an einer Übungsplatte Griffe an und ab, bis jede es raushat. Denn die meisten haben keine oder nur wenig Erfahrung.
«Ich habe in der Boulderhalle in Neuchâtel, wo ich wohne, schon ein wenig begonnen, Routen zu bauen», sagt Pauline. «Wegen einer Verletzung konnte ich nicht klettern, wollte aber trotzdem in die Halle gehen.» Ein Kollege, der dort Routen baut, hat sie eingeweiht. «Das Technische ist schnell gelernt», sagt Friederike Traub. «Aber um gute Routen zu bauen, braucht es viel Erfahrung.» Auch sei ein grosses Verständnis für Bewegung notwendig. «Wir sind Choreografinnen von Bewegungsabläufen.» Pauline wird nach dem Kurs die Möglichkeit haben, in der Boulderhalle in Neuchâtel das Gelernte als Freiwillige anzuwenden.
Wie schwierig es für Frauen ist, professionell Routen zu bauen, weiss Alise Zvigule aus Erfahrung. Die Umweltwissenschaftlerin und ehemalige Wettkampfkletterin aus Lettland wurde in Boulderhallen mehrmals abgewiesen. Mittlerweile schraubt sie aber auf höchstem Wettkampfniveau Routen, unter anderem hat sie 2022 an den Europameisterschaften für die Kombination Routen gebaut. «Es braucht auch Glück», sagt sie.
Friederike Traub, die Design studiert hat und aus Deutschland stammt, hat 2018 mit dem Routenbau angefangen. «In Deutschland war es damals nicht möglich, eine nationale Routenbaulizenz zu machen», sagt sie. Sie zog in die Schweiz, wo sie eine solche Lizenz erwerben konnte. Routen für Wettkämpfe baut sie auf nationalem Niveau, ansonsten arbeitet sie als Freelancerin in verschiedenen Boulder- und Kletterhallen in der Schweiz und in Deutschland.
Arbeitsbedingungen nicht ideal
«Das erste Ziel dieses Workshops ist es, dass Frauen überhaupt eine Gelegenheit bekommen, einen Einblick in den Routenbau zu erhalten», sagt Friederike Traub. Das zweite Ziel sei der Aufbau der Community, also Networking. Denn nur wenn man sich gegenseitig kenne, könne man sich auch unterstützen. Vor zwei Jahren hat Alise Zvigule einen Event mit internationalen Routenbauerinnen organisiert. «Wenn bei einem Wettkampf jemand ausfällt, kann man auf die Kontakte zurückgreifen.»
Ganz vertieft arbeiten die Workshopteilnehmerinnen in Zweierteams in der Halle. Sie haben alle die Aufgabe bekommen, eine bestimmte Bewegung an die Wand zu bringen. Bald sind die untersten Tritte und Griffe angeschraubt. Um die Routen an den rund vier Meter hohen Wänden bis nach oben zu ziehen, braucht es eine Leiter.
Anastasia kann sich im Moment nicht vorstellen, sich einmal Vollzeit als Routenbauerin zu engagieren. Sie arbeitet in der Küche des Restaurants, das zum Minimum gehört. Dort hat sie auch Gefallen am Bouldern gefunden und angefangen, sich für den Routenbau zu interessieren. Weil der Workshop für FLINTA*, also für alle Personen ausser Cis-Männer, ausgeschrieben war, fühlte sie sich angesprochen.
Dass bis heute nicht mehr Frauen professionell im Routenbau tätig sind, liegt laut Alise Zvigule auch an den Arbeitsbedingungen. «Man muss es in einem grösseren gesellschaftlichen Kontext sehen», sagt sie. Frauen würden tendenziell mehr an die Zukunft denken, aber hierzulande hätten noch nicht einmal alle Routenbauenden einen Arbeitsvertrag.
Von solchen Überlegungen sind die Teilnehmerinnen des Workshops gerade noch weit weg. Doch wer weiss, ob sie hier nicht Feuer fangen. Am Anfang wirkten alle etwas schüchtern. Jetzt wärmen sie sich auf, die Stimmung ist gut. Die ersten Routen oder die Einstiege davon sollen geklettert werden, damit sie falls nötig noch verbessert werden können.
Die ersten Routen sind fertig
Je weiter der Nachmittag fortschreitet, desto mehr Boulderinnen und Boulderer tauchen in der Halle auf. Nach Feierabend wird es hier davon wimmeln. Am Abend werden die ersten Routen von Pauline und Anastasia und ihren Kolleginnen fertig sein. Dann werden sie sehen können, wie die Bewegungen, die sie gestaltet haben, geklettert werden.