Auf Wanderschaft mit 10 Millionen Bienen | Schweizer Alpen-Club SAC
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Auf Wanderschaft mit 10 Millionen Bienen

Florian Achermann und Judith Amstad betreiben die einzige Berufsimkerei im Kanton Uri. Angefangen hat alles in einer kleinen Garage. Jetzt imkern und leben sie erfolgreich hoch über dem Talboden.


Wie schnell ist ein Kilogramm Honig gegessen? Das hängt natürlich von der Grösse des Haushalts ab. Und davon, wie regelmässig man sich Honig aufs Brot schmiert. In einem Monat? Vielleicht in zweien? Bedenkt man, wie oft eine Biene für dieses Kilogramm hin- und herfliegen muss, mutet schon der Verzehr binnen eines Jahres herzlos an. Umgerechnet sind es 79 000 Kilometer, die die Bienen dafür zurücklegen müssen. Oder anders ausgedrückt: 5,6 Millionen Blütenbesuche.
Das sind Zahlen, die sich surreal anhören, weil so viel Arbeit unmöglich in ein kleines Glas passt. Und vor dem Honigregal im Supermarkt dürften einem die einst für hoch empfundenen Preise für Schweizer Bienenhonig plötzlich tief erscheinen. Vor allem für Honig aus den Bergen, an deren naturbelassenen Hängen nur wenige Imker in der Schweiz ihr Glück versuchen.

Zwei von ihnen sind Florian Achermann und Judith Amstad, 43 und 42 Jahre alt. Sie betreiben auf der Sonnenseite des Urner Schächentals, in Bürglen auf 1000 Metern, die einzige Berufsimkerei des Kantons. 200 Bienenvölker sind in ihrem Besitz. Das sind zwischen 10 und 12 Millionen Bienen. Das Gewimmel am Berg stellt man sich chaotisch vor. «Natürlich fliegen die Bienen nicht ziellos umher», sagt Florian Achermann. «Sie kennen ihr Zuhause und entfernen sich nie mehr als drei Kilometer von ihrem Volk.»

Am Schluss kommt die Alpenrose

Drei Kilometer deshalb, weil die Insekten auf ihren Ausflügen einen Teil des Nektars selbst benötigen und weitere Strecken sinnlos wären, da sie dann ohne Nektar zur Königin und zum Volk zurückkehren würden. Kommt hinzu, dass sich die Bienen immer wieder an eine neue Umgebung gewöhnen dürfen. Denn – und darin zeigt sich die aussergewöhnliche Funktion dieses Betriebes – die Bergimkerei Achermann ist eine sogenannte Wanderimkerei. Sie orientiert sich an den Saisons der Blumen und stationiert ihre Bienenvölker und deren Ableger immer dort, wo es blüht.
«Wir beginnen im April auf dem Talboden», sagt Judith Amstad. «Dort wird zwar vielerorts gemäht, aber mit der ‹Söiblueme› findet die Biene genügend guten Nektar.» Ist der Löwenzahn verwelkt, werden die Bienen zu einem höher gelegenen Standort transportiert. Und so wandern die Völker mit der Vegetation hoch, bis sie auf circa 1700 Metern, wo in unberührter Natur die Alpenrose blüht, zum letzten Mal stationiert werden. Im August wird der Betrieb eingewintert.

Lange reichten die Einnahmen nicht

Im Gegensatz zum Angeln, das seinen romantischen Charakter spätestens beim ersten Kehlschnitt am Fisch verliert, bleibt das Imkern im Kern ein emotionaler Beruf. Florian Achermann spricht von einem Streichelzoo, als er die Wabe mit Hunderten von Bienen vorsichtig aus dem Kasten zieht. Und dann streichelt er mit der Hand tatsächlich über die vielen kleinen Bienenrücken, während er im unübersichtlichen Gewusel des Schwarms nach der Königin Ausschau hält. Für Laien faszinierend. Für ihn? «Immer wieder gern. Sie sind meine Mädchen. Ob ich gestochen werde? Selten. Meistens nur, wenn ich gestresst bin. Das spüren die Bienen. Dann werden sie nervös.»
Es dauert eine Weile, bis Achermann die Königin des Volkes gefunden hat. Sie schlüpft von Wabe zu Wabe, sucht sich eine freie Zelle, wo sie ihre Eier ablegen kann, wird umschwärmt und verwöhnt. Ihr Körper ist länger als jener der Arbeiterbienen und schimmert rötlich.
In der Idylle leben und arbeiten tönt gut. An einem Ort, wo selbst im Winter jeden Tag sechs Stunden die Sonne scheint. Nur: So einfach war das alles nicht. Das Berufsimkern ist Achermann und Amstad nicht in den Schoss gefallen. Nachdem Florian Achermann mit 24 die Hobbyimkerei von seinen Eltern übernommen hatte, ging er nebenbei noch seinem Beruf als Schreiner nach. Geimkert wurde in der Hausgarage, vom Honigverkauf allein konnten die beiden nicht leben. Selbst Jahre später, als noch mehr Bienenvölker dazukamen, reichten die Einnahmen nicht aus, sodass Achermann zwischenzeitlich sogar in Nachtschichten in den Strassentunnels schuften musste. «Erst nachdem ich 2011 den Imkermeister in Graz abgeschlossen hatte und als auch Judith sich ganz dem Betrieb widmete, konnten wir alles aufs Imkern setzen.»

Mehrfunktionales Imkerhaus

Gleich neben dem Wohnhaus steht der Imkereibetrieb. Erbaut wurden die Häuser im Jahr 2019. Die Imkeranlage ist so etwas wie die «Homebase», der Ausgangspunkt, von dem Achermann seine täglichen Touren startet, um die Bienenvölker an den verschiedenen Standorten zu kontrollieren. Hier wird auch ein- bis zweimal im Jahr der Honig geschleudert und laufend in Gläser abgefüllt. Es gibt eine eigene Wachsschmelzerei, wo man im Winter die Wachswaben reinigt und für den Eigenbedarf sowie für andere Imker zuschneidet. Das Haus verfügt über eine kleine Werkstatt, dient als Lager und manchmal sogar als Showroom, wenn Firmen oder Privatgesellschaften einen Workshop samt Betriebsbesichtigung mit anschliessendem Apéro und Grillabend buchen. Dann verkauft sich der zarte und würzige Alpenrosenhonig am besten. Selbst wenn er zu den teuersten Produkten gehört. Aber was heisst schon teuer bei 79 000 Flugkilometern pro Kilo?

Neue Serie

In dieser achtteiligen Serie berichten wir über Berufe in der Höhe. In der nächsten Ausgabe: Berufsstrahler Christoph Betschart aus Andermatt. Der 36-Jährige verdient seinen Lebensunterhalt, indem er auf über 2500 Metern nach Kristallen sucht.

Autor / Autorin

Alan Schweingruber

Der Hochzeitsflug

Ein bis zwei Wochen nachdem die Bienenkönigin geschlüpft ist, begibt sie sich auf den Hochzeitsflug. Das Ereignis ist spektakulär, weil sie auf diesem Paarungsflug bis 20 000 männliche Bienen (Drohnen) anlockt. Die 10-15 Drohnen, mit denen sie sich schliesslich paart, finden noch während dem Akt im Flug den Tod. Und auch jene Drohnen, die nicht in den Genuss einer Begattung kommen, erleiden ein ähnliches Schicksal: Ihnen wird am Ende des Bienenjahres die Rückkehr in den Bienenstaat verwehrt oder das Futter verweigert. Eine Königin paart sich in ihrem Leben nur ein einziges Mal.

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