Von turbulenten Jahren und mutigen Menschen | Schweizer Alpen-Club SAC
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Von turbulenten Jahren und mutigen Menschen Kinostart des Dokudramas Hölde – die stillen Helden vom Säntis

Die alten Geschichten am Säntis gaben schon immer zu reden. Manche muteten surreal und gross an, sodass die mediale und künstlerische Aufarbeitung oft misslang. Jetzt kommt ein sehenswertes und umfassendes Dokudrama ins Kino.

Es gibt einen Schweizer Film, der heisst Der Berg. Er stammt aus dem Jahr 1990 und wurde von Markus Imhoof gedreht. Im Ausland, besonders in den Nachbarländern Italien und Deutschland, wurde der Spielfilm gelobt und prämiert. Das ist für eine Mundartproduktion aus einem Land, das nicht unbedingt für grosses Kino bekannt ist, bemerkenswert. Aber da war halt dieser verheissungsvolle Plot: ein Doppelmord auf der Wetterstation des Säntis, dazu die bekannten Schauspieler Mathias Gnädinger und Susanne Lothar als Opfer, der Österreicher Peter Simonischek als rachedurstiger Mörder. Es war eine starke Produktion, die es mit den Grossen im internationalen Geschäft aufnehmen konnte.

Jetzt kommt wieder ein Film über den Säntis in die Kinos. Und obschon der Doppelmord darin ebenfalls eine Rolle spielt, richtet sich der Fokus im Dokudrama von Victor Rohner auf die sagenumwobenen Geschichten am Berg. Im Mittelpunkt: die Säntisträger. Jene mutigen Männer also, die von 1879 bis 1935 mehrmals die Woche Materialien auf den Gipfel trugen, damit die Wetterwarte der damals höchstgelegenen Wetterstation Europas ihren Arbeiten nachgehen konnten. Technik, Lebensmittel, Medikamente, Post, Bücher usw.

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«Es ist etwas entstanden, das die fast sechs Dekaden dokumentiert und die Menschen berührt.»
Victor Rohner
Regisseur

Bei den Appenzellern ist die Erleichterung über die Verfilmung gross. Sie empfanden den staatlich geförderten Spielfilm von 1990 als Affront. Erstens wurde er auf dem Pilatus gedreht, also an einem Ort, der mit dem Appenzell etwa so viel zu tun hat wie das Rotkäppchen mit den Manga-Comics. Und zweitens war die Story überdreht und im Kern falsch. Sie wurde umgeschrieben – zugunsten des internationalen Kinopublikums, nicht im Sinn der Appenzeller.

Aufwendige Requisiten

Victor Rohner, den die ältere Generation noch als Sportkommentator des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF) kennen, ist mit Hölde ein schönes Dokudrama gelungen, das die ganze Geschichte der Wetterwarte im Detail nacherzählt – vom Bau über die mühsame Schlepperei bis hin zum Mord. Als Support holte er den erfahrenen Regisseur Kuno Bont mit ins Boot, weil von vornherein klar gewesen sei, dass die fiktionalen Aufnahmen kompliziert werden würden.

Einfach sind Dreharbeiten nie. Aber es existieren in der Branche schon ein paar Unterschiede in Sachen Herausforderungen, und Hölde gehört sicher nicht in die Kategorie der weniger komplex zu realisierenden Heimatfilme. Nebst den Interviews wurden viele Szenen im Spielfilmformat nachgestellt. Die Darstellerinnen und Darsteller trugen Kleider aus der alten Zeit, hantierten mit aufwendigen Requisiten und spielten bei teilweise sehr tiefen Temperaturen im Schnee am Berg.

«Die Tage waren manchmal lang und hart», sagte der 76-jährige Victor Rohner. «Aber ich bin sehr glücklich über das Resultat. Es ist etwas entstanden, das die fast sechs Dekaden dokumentiert und die Menschen berührt. Ich selbst komme aus dem benachbarten Rheintal und habe immer gespürt, dass man sich im Appenzellerland eine Aufarbeitung der Geschehnisse wünscht.»

Viele kamen nicht mehr zurück

Wie viel Material die Männer damals zur Wetterwarte hochschleppten, war das eine. Bei welchen Wetterverhältnissen und in welcher Frequenz sie das taten, das andere. Auf den zehn Kilometern und fast 1800 Höhenmetern kamen die Träger im Winter regelmässig in Lawinen um. Sie erfroren oder stürzten zu Tode. Wer Säntisträger war, war ein Held. Aber einer auf Zeit.

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Bei all der Dramatik kommt die Leichtigkeit, die den Appenzeller ja auch ausmacht, im Film nie zu kurz. Anekdoten vom Säntis gibt es zur Genüge.

Bis der Bund kurz vor der Jahrhundertwende reagierte und den Chefposten 1899 mit dem Besten der Region besetzt: Josef Anton Rusch. Der 33-Jährige war ein pflichtbewusster und tüchtiger Bauer und Bergführer, der sich im Alpstein so gut auskannte wie niemand. «Ich habe mich immer gefragt, warum die alle ständig umkommen», sagt er im Film mit trockenem Humor. Dann unterzeichnete er den Vertrag, der ihm die meteorologische Anstalt aus Zürich vorlegte, und formierte sein eigenes Trägerteam.

Rusch war in all den Jahren über 3000-mal oben und kam immer wieder zurück. Für ihn investierte der Staat sogar in einen teuren Muni, der ihm für die Aufstiege zur Seite stand. Und man stellte ihm für private Zwecke einen Telefonanschluss zur Verfügung. Ein grösserer Luxus in der neuen Welt der elektronischen Kommunikation war damals kaum denkbar.

Die Geschichte mit der Kuh

Bei all der Dramatik kommt die Leichtigkeit, die den Appenzeller ja auch ausmacht, im Film nie zu kurz. Anekdoten vom Säntis gibt es zur Genüge. Sie rangen bei den Interviews mit Einheimischen und Nachkommen sogar der Regie ein Lächeln ab: Da hatte mal jemand die Idee, eine Kuh mit auf den langen und steilen Weg zu nehmen, damit für das Fest auf dem Gipfel keine Fleischportionen hochgetragen werden mussten. Der Aufzug gelang zwar, blieb aber einmalig. Die Strapazen waren für das Tier so heftig gewesen, dass das Fleisch nach dem Schlachten ungeniessbar war.

Vielleicht ist genau dieses Hin und Her der ganze Trick des Films: die Sprünge von Alt zu Neu, von der Schwermut zur Heiterkeit und wieder zurück. Neutralen Betrachtern ist es unmöglich, nicht mit den Appenzellern und dem Säntis zu sympathisieren. Und am Schluss hat man sogar ein bisschen das Gefühl, selbst Teil dieser heldenhaften Geschichten und dieses exponierten Berges zu sein.

Mit dem tragischen Doppelmord vom Februar 1922 endet das Dokudrama. Der mutmassliche Täter Gregor Kreuzpointner war damals trotz höchster Lawinengefahr hochgestiegen und hatte die Wetterwarte Lena und Heinrich Haas erschossen. Gefunden wurden die Leichen einige Tage später von Chefträger Josef Anton Rusch. Dem grössten Helden der Geschichte.

Kinoticket: SAC-Aktion «2 für 1»

Hölde – die stillen Helden vom Säntis von Victor Rohner ist ein Dokudrama, das ab 28. November 2024 in den Schweizer Kinos läuft. Der SAC hat das Patronat über den Film und schenkt allen Mitgliedern, die einen Kinoeintritt erwerben, ein zusätzliches Ticket für die Begleitperson.

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Autor / Autorin

Alan Schweingruber

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