© Stefan Rossi
Chronik von Daria Wild 27. Juli bis 3. August 2019
Rotondo-Hütte. LandArt 2019 – gemeinsam gestalten im offenen Prozess
Chronik zum LandArt Prozess von Daria Wild
Grau ist einhundert Farben
Auf einem Fels thront die Rotondohütte, umgeben von noch mehr Felsen, grösseren Felsen, grau und scharfkantig und einkreisend, oder auch; grau und gutmütig und beschützend. Ein steiniger Schoss und darin Menschen, in lila, hellgrün oder rot, sanft zerfurcht ihre Gesichter wie der schmelzende, schrumpfende, sich zu Falten legende Schnee.
Sie sagen; ab id’ Hose!
Sie sagen; Arbeitskolonne, marsch!
Und Urs, silberhaarig und bergselig sagt; siehst du, sie werden chribbelig. Sie wollen jetzt
etwas tun.
Etwas tun heisst; Steine suchen, Steine schleppen, Steine finden, Steine aufeinanderbeigen, aneinanderreihen, Steine nach Farben sortieren, Steine zertrümmern, Steine tragen und umarmen und sagen; schau wie schön, diese Steine, sagen; wir brauchen mehr flache Steine und diesen hier, der hier so aus dem sandigen Erdboden lugt, den graben wir am besten ganz aus.
Etwas tun heisst auch; reden, aushandeln, überdenken, in sich gehen, reflektieren, sich finden, sich abgrenzen, und vor allem; verdichten. Verdichten ist ein Zauberwort, es löst die meisten Unklarheiten und wird sehr gern gesagt; genau so gern wie weniger ist mehr und Prozess und dynamisch.
Verdichtet werden soll: das Kunstwerk. Das Kunstwerk ist nicht mehr wenig und wird noch mehr, das Kunstwerk entsteht in einer ganzen Woche zwischen Gletscher und Hütte, gedacht in den Köpfen, gemeinsam ausgehandelt, und gestaltet, gebaut, errichtet, von fünfundzwanzig je nach Perspektive ziemlich unterschiedlichen Menschen. Menschen, die schuften, schaufeln und «schön, hä!» sagen, die sich manchmal auch ärgern und frustriert sind, Menschen, die wegen dem Berg kommen oder wegen dem sozialkünstlerischen Aspekt, wegen dem Tun oder wegen irgendeinem Menschen von einem Menschen von einem Menschen, der das hier macht.
Vor dem Tun stehen sie murmelnd und scherzend im Kreis und halten sich an den Händen, und weil jemand die Mittagspause verlängert hat, machen sie den Kreis nochmals auf und kümmern sich um die Nachzüglerin, eins als Gruppe, als Herde, eins in den Farben der Wanderschuhe. Das sieht sehr harmonisch aus, dieses Menschenrund, man sieht sie nicht sofort; die Polaritäten. Es gibt: Homo faber und homo ludens, vorausplanend und spontan, aktionistisch und vorsichtig, männlich und weiblich, bauend und kunstmachend und Urs sagt; das kann dann manchmal…, und legt seine Fäuste aneinander und reibt sie und schaut so.
Hier müssen wir ein bisschen verdichten.
Das ist mir zu künstlich, wenn wir hier Kies hinmachen!
Was ist daran künstlich, das ist Kies!
Stimmen wir ab.
Über was stimmen wir jetzt genau ab?
Über den Kompromiss.
Hier ein bisschen aufräumen.
Nicht zu streng. Das wirkt gepützelt.
Mir geht das jetzt schon ein bisschen schnell.
Schaufeln wir dann noch Schnee?
Können wir bei euch nachher Sand holen?
Hier integrieren wir das am besten für einen schönen Schluss.
Achtung, wir haben nur noch einen Tag.
Auf einem Steinhaufen steckt ein Schweizerfähnchen und Zeit vergeht langsam. Der Schnee plätschert geschmolzen zu einem Bach geformt über die kleine Ebene zwischen Hütte und Gletscher wo das Kunstwerk entsteht, Wolken schieben sich über die Berggipfel und der Wind zerrt an den Windstoppern und wenn die Sonne von den Wolken verdeckt wird und der Wind von den Schneefeldern her kommt, ist es fast eisig. Wer jetzt nichts schleppt, friert.
Es ist ein Wechselbad des Wetters und ein Wechselbad der Gefühle.
Ich bin im Prozess, irgendwo reinzukommen.
Manche nennen diesen Ort hier Atelier, andere Baustelle.
Für mich ist es ein Biotop.
Hier passieren ganz viele Dinge, die auch sonst im Leben passieren.
Viel Zeit bleibt nicht mehr.
Unter den Füssen wackeln die Steine und der Berg steht still. Alles ist schroff und karg und von nahem spitz und scharfkantig. Von weiterem aber ist alles weich und rund, ganz unten das Tal, dazwischen die Hütte, rundherum die Berge. Graubraune Schneeflecken und darin winzige Schmelzseen. Das Geräusch von flüssigem Schnee, Schiefer, Schotter, die Schaufeln, die in den nassen Sand stechen, Schaufeln und Garetten und Gérard, der hin und her rennt, lachend, Gérard, sagen die anderen, immer im T-Shirt, immer Befindlichkeit 10 von 10.
Es gibt eine Mauer aus roten Steinen, die ein Halbrund formt. Ein Blumenbeet darin und Moos. Die flachen Steine, aufgetürmt. Linien aus Stein und Steinkreise um Steine. Das schroffe, dem Wetter und den Blicken der Hütte ausgesetzte, und das sanfte, sich dem Bachbett hingebende. Die flachen Steine, aufgetürmt zu einer Kugel, die mal eingestürzt ist und jetzt wieder aufgebaut wird, besser. Sie nennen sie; die Kugel des Anstosses und schauen bedeutungsvoll und man vermutet; da war mal viel Streit.
Manchmal machen sie Pause und zeigen Fotos, so sah’s gestern noch aus, da im Nebel, und man hört viel Stolz in den Stimmen und immer wenn man schaut, auf diese Ebene zwischen Gletscher und Hütte, hat sich wieder etwas bewegt und es gibt neue Aneinanderreihungen und Auftürmungen und neue Löcher zwischen grünleuchtendem Moos und kalten Disteln, dort, wo mal Steine lagen, unberührt.
Sie sagen; die Zeit vorher war auch wichtig, das muss man wissen, die Zeit, die es brauchte, einen Standort zu finden. Einander vielleicht auch, das sagen sie aber nicht.
Petra hält Steine im Arm wie junge Kätzchen. Wegen der Höhe und Schroffheit und Baumlosigkeit kam sie und jetzt sieht sie, wie sich die Blumen veränderten und das Gras und wie der Berg ein anderer wurde als er vorher war.
Jakob sieht seine Steinreihe an, scharf und hasengross sind sie, als wäre ein Drache in der Erde vergraben und nur sein Kamm luge heraus, und hinter Jakobs Sonnenbrille vermutet man stolze und strahlende Augen.
Roni ist hoch und bestimmt, und ruhig zertrümmert und verschiebt und schaufelt er Steine und sagt; diesen hier müssen wir talseitig freilegen.
Reto sagt, alle müssen nach unten kommen, und von unten sieht es aus wie ein Herz und Reto sagt; das haben wir unbewusst gemacht, und Jürg bringt den talseitig freigelegten und verschobenen und saubergeschrubbten Stein ins Gespräch. Schön sei der, den müsse man aufstellen, aber als der Stein steht sieht er aus wie ein Grabstein.
Alles hat hier Platz, auch Unstimmigkeiten.
Wie 10 Psychotherapiestunden in einer Woche.
Es sollte hier eine Verdichtung geben, dass der Stein in die Ellipse kommt.
Für einen sanften Übergang.
Das ist interessant.
Cette semaine est magnifique.
Das ist mehr als sändele in den Bergen.
Die Kugel hat jetzt Sandschichten und Stabilisierungsgitter und der Wind hat die kleine Schweizerfahne um ihren eigenen Mast gewickelt. Rundbauchige Wolken schieben sich über die Berge und manchmal sind sie weiss und manchmal sieht es aus, als trügen sie schweren Regen mit sich.
Hier oben spielt die Zeit keine Rolle, sagt jemand.
Aber irgendwann liegen die Schaufeln müde herum und die Wolken werden mehr und verändern die Farbe der Steine, der Wind beisst sich durch die Jacken, und die Menschen stehen wieder in den Kreis und alles ist still und es sieht genauso aus wie am Anfang, nur die Schuhe sind ein bisschen dreckiger und die Körper weniger chribbelig.
Nach dem Kreis stiefeln sie zurück über den alten Schnee zur Hütte, wo wieder alles ganz anders ist, weil die Sonne die Holzterrasse wärmt und der Wind fehlt, und weil an einem Tisch Geografinnen und Geografen sitzen und Pinot trinken und jassen, die den Gletscher vermessen und nicht sehr viel Sinn haben für Dinge, die nicht messbar sind, sie sagen; die reden so viel, immer reden und reden sie.
Neben dem Pinot und dem Jassen atmen die anderen den Tag ein und aus und die Zehen biegen sich auf den Matten zurecht und die Gesichter sind ganz andere ohne Sonnenbrille und Jacken und Sonnencreme dick wie eine Eisschicht. Danach ist die Zuversicht gross und die Wörter sind nicht mehr Prozess und Stein und verdichten sondern Apéro und Fondue, und die Geografen werden später sagen; hoppla, jetzt sind sie aber ausgelassen.
Später ist; Kreise drehen im Caquelon, reden über das Leben, über Schicksale und Freundschaften und das Älterwerden, später ist; an einem grossen Feuer stehen und sagen; wir werden andere sein, wenn wir nach Hause gehen, später ist Alphorn für eine endgültige Überdosis Schweiz und Laternen, die alle vom Gletscherwind zerzaust oder am aufsteigen gehindert werden
ausser eine, eine verschwindet in die graue Nacht.