© Jean Odermatt
Chronik von Daria Wild 17. August 2019
Salon Alpin 17. August 2019 in Altdorf
Im Rahmen der Alpentöne 2019
Musikalisches Intermezzo mit Albin Brun, Fränggi Gehrig, Hans Hassler
«Schliesst den Alpenraum, dann sind wir die Lawinengefahr los.
Die Alpen – ein Lebensraum ohne Zukunft?»
Salon Alpin moderiert von Jürg Steiner. Eine Gesprächsrunde mit Erika Hiltbrunner (Biologin, Alpine Forschungs- und Ausbildungsstation Furka), Gion A. Caminada (Architekt, Vrin) und Josef Arnold (Wildheuer, Isenthal).
Chronik von Daria Wild
Ist unser Alpenraum in Zukunft noch belebbar? – der Salon Alpin in Altdorf
Die drei Gäste tragen die Farben der Berge; grau und schwarz und blau in verschiedenen Tönen. Der Moderator trägt die Farben einer sehr bunten Blumenwiese. Er stellt eine Frage, die schwer wiegt wie ein Fels: Ist unser Alpenraum in Zukunft noch belebbar?
Er stellt sie der Botanikerin in eisblau, die beruflich auf dem Furkapass Pflanzen erforscht und privat in Isenthal die dörflichen Nachbarschaften.
Er stellt sie dem Architekten und Professor in den Architektenfarben grau und schwarz, der im Alpenraum baut und in der Stadt lehrt.
Und er stellt sie dem Wildheuer aus dem Fernsehen, der eigentlich Bildhauer ist und auf die erste Frage des Moderators sagt, ja, natürlich, müsste er heute nicht hier sitzen, würde er wildheuen.
Schon ist die Stimmung gut, der Wildheuer ist ein schmaler Mensch mit schmaler Stimme und verschmitztem Lächeln. Der Moderator fragt den Wildheuer nach seinen Schuhen, keine Wildheuerschuhe, und der Wildheuer streckt ein Bein in den Raum und lehnt sich ein bisschen zurück. Die sind nur zum raufgehen, die anderen haben Zacken. Und der Wildheuer erzählt mit ruhiger Stimme ein bisschen von früher, eher erheitert als nostalgisch. Ja, die Pflanzen haben sich verändert da oben.
Auch der Architekt war mal Wildheuer und auch der Architekt hat graues Haar, obwohl etwas jünger als der Wildheuer. Der Architekt streckt auch einen Fuss in den Raum wie der Wildheuer. Er sagt einfache Sätze, er sagt: Die Artenvielfalt bei den Menschen verschwindet.
Die Biologin war nie Wildheuerin, aber sie sagt; die Landnutzung im Alpenraum ist das A und O, die Leute müssen in den Bergen bleiben. Dann erzählt sie die Geschichte von den Grünerlen, sie sagt, die Einheimischen hätten sie auf die Idee gebracht, das Problem der Grünerlen anzuschauen; du bist doch Forscherin, mach mal was Sinnvolles, haben sie gesagt. Ein Bauer kam schliesslich darauf, dass Schafe helfen könnten. Die Engadiner Schafe haben einen Tick, die gehen im Frühling auf die Grünerlen los und fressen die Rinde. Und dann verdorren die Bäume.
Der Moderator nimmt den Tick auf, als hätte ihm die Biologin einen Ballon zugeschubst, langsam, sachte. Er fragt den Wildheuer nach dem Tick, nach dem Problem, das die Zukunft des Wildheuens schält und verdorren lässt. Es müssen mehr Junge kommen, sagt der Wildheuer und streckt wieder ein Bein in den Raum und spricht in trockenlustigen Reimen. Aber ja, es ist zum Teil steil.
Der Moderator pflückt einen Ballon aus den Worten des Wildheuers und schubst ihn sanft zum Architekten; müssen wir um Eigenheiten kämpfen? Der Architekt schiebt eine Hand zwischen seine überschlagenen Beine und spricht von der Kultur des Raumes, er sucht nach Worten, er zieht seine Hand hervor, damit sie den richtigen Satz findet. Ja, wir müssen unsere Eigenheiten erhalten. Sogar die Städter wissen das.
Die Biologin sitzt gerade und rückt mit ihren Sätzen alles andere auch wieder gerade. Vielleicht muss man Eigenheiten schon auch thematisieren. Die Leute in Isenthal meinten immer, wir seien nur für Ferien hier. Als wir sagten, nein, wir hätten ein Haus gekauft, waren sie überrascht; ihr habt ja gar keine Verwandten hier! Aber vielleicht ist ja genau das gut.
Der Moderator will jetzt wissen, wie das mit dem Geld aussieht in den Alpen, ob man da überlebt. Der Wildheuer lobt das Förderprogramm, redet aber lieber darüber, wie gern die Kühe das Wildheu haben und wieder scherzt er verschmitzt. Moderator: Ist es gut verdaulich? Wildheuer: Das habe ich sie nicht gefragt.
Die Biologin rückt auch das Bild mit dem Geld wieder gerade, man sagt immer, der Alpenraum sei nicht wirtschaftlich, aber wir vergessen, dass ein Grossteil des Stroms aus dem Alpenraum kommt. Dann spricht sie in Zahlen, über Strom und die Klimaerwärmung, über Messstationen und Alarmismus. Sie sagt: Wenn es wärmer wird, nützen die Pflanzen kühle Nischen und Ecken.
Der Architekt sucht wieder nach Worten in der Luft zwischen ihm und dem Moderator und manchmal in der Luft zwischen ihm und dem Publikum. Der Berg hat einen eigenen Willen, die Natur ist launisch. Wir müssen mit der Natur spielen, mit der Landschaft. Das, was Herr Arnold macht, ist mehr Kunst als Kultur.
Der Wildheuer sieht zufrieden aus, er redet fein und langsam und wiegt den Kopf, manchmal antwortet er mit dem Oberkörper. Er erzählt, wie das Heuen funktioniert und es klingt nach einer anderen Sprache. Haagge, Tinggu. Seiler tümmer seile. Dann fragt ihn der Moderator, ob er nie Angst habe, und der Wildheuer sucht die Angst in seinem Kopf als wäre sie eine sehr schöne Erinnerung. Im Näfel traf ihn mal fast ein Stein – päng, päng – kam er den Berg runter – fffft – ein Meter an ihm vorbei sauste er ins Tal.
Auch die Zeit rollt den Berg hinunter, der Moderator ruft mit weicher Stimme zur Schlussrunde. Ob der Architekt in der Stadt leben könnte? Der Architekt sagt: Ja, aber ich bin wie der Pfarrer von Vrin, ich sage: Ich bleibe hier. Der Architekt sagt auch noch; Künstlern wie Herr Arnold gehört die Zukunft und der Wildheuer zuckt erheitert zusammen.
Die Biologin holt die ausschweifenden Worte des Architekten auf den Boden zurück auf die Frage nach der Zukunft. Sie sagt: Mein Leben ist ein Leben auf den Knien. Die Leute müssen begreifen, dass das einfach ist, dass sie keine Spezialisten sein müssen, um Pflanzen beobachten zu können, um genau hinzuschauen. Das ist das, was der Mensch kann. Und vielleicht auch das, was er wieder tun soll.
Den Wildheuer fragt der Moderator auch nach der Zukunft, aber nach der sehr nahen. Ob er ihn morgen zum Wildheuen mitnehmen würde? Und der Wildheuer antwortet, wie der Wildheuer antworten muss: Wir geben dir dann schon Schuhe, dass du stehen kannst!
Und der Moderator mit viel Sinn für Abrundung lacht und lädt auch das Publikum zum Wildheuen ein und schickt es schliesslich raus, in die Altdorfer Altstadt, in die Alpentöne.
Tavolata 17. August im Pilgerhaus Maria-Rickenbach, Niederrickenbach
Dominik Flammer gemeinsam mit Sepp Barmettler, Paul Barmettler und Toni Odermatt.
Heimische Frühkartoffeln von Marcel Heinrich, dazu Stanserfladen, Sbrinz und Ziegenkäse von Meierskählen.
Musikalische Begleitung von Hans Hassler, Akkordeonist
Chronik von Daria Wild
Tavolata
Es ist ein mystischer Ort, sagt der grosse Mensch, der viel weiss über den Ort und der viel weiss über die essbaren Dinge. Er schaut von der Terrasse des Pilgerhauses Maria-Rickenbach über das Engelbergertal und ist zufrieden. Heute nämlich pilgert man hierhin für Käse und Kartoffeln, der grosse Mensch heisst Dominik Flammer und bittet bald zu Tisch. Gschwellti deluxe.
Im Raum mit der langen Tafel gibt es viel Holz und grün und warmes Licht, dazu warme Töne von einem Musiker mit Bart wie ein Zauberer. Der Musiker heisst Hans Hassler und wenn er Handorgel spielt, schaut er den Tönen nach, gutmütig und sorgfältig. Vorsichtig füllen sie den Raum ohne den Menschen Raum wegzunehmen. Die Stimmen im Raum bilden auch Akkorde, langsam, plätschernd. In den Mündern verschwinden weiche Stangen aus Blätterteig und Oliven, die aussehen, als wären sie grilliert worden.
Draussen vor dem Fenster steht eine Kapelle. Im Hang kleben Kühe.
Dann wechselt der Zauberbart die Farbe seiner Töne und der Abend wird eröffnet mit einem Satz, der noch viel gesagt wird an diesem Abend; dass der Musiker nämlich einer der vier weltbesten Handörgeler sei und in diesem Moment entschwindet dem Zauberbart ein Lächeln. Dann wird noch etwas gesagt, was noch oft gesagt wird an diesem Abend: Parmesan hat etwas mit Sagmehl zu tun und Sbrinz mit Kulinarik, und darauf nicken die Gschwellti-Pilgerer sehr erheitert.
Flammer, der Käsemensch, sagt als allererstes, er wolle eigentlich lieber einfach schweigen und das glaubt man ihm natürlich nicht; so gern er Käse hat, so gern redet er, schnell, fast atemlos, trotzdem sind die Sätze wohlgeformt, mit diesem wunderbaren sankt-gallischen Gaumen-R.
Es gibt keine Schweizer Küche, es gibt nur ein Schweizer Einheitsgebäck: der Sonntagszopf, sagt der Käsemensch und zählt in schwindelerregendem Tempo Regionalküchen auf, man kommt nicht mit aber man bekommt Hunger. Die Kartoffel, die war mal ein fremder Fötzel, sagt er auch, und dann erzählt er eine Geschichte, als wäre die Kartoffel seine Urururururururgrossmutter und der Schweizer Käse sein Urururururururgrossvater, die sich 1698 kennengelernt hatten und es seither sehr miteinander genössen. Auch der Wein hat eine Seele, der ist aus Graubünden, weil sich die Kartoffeln aus dem Albulatal sonst einsam fühlen würden.
Die unerschütterliche Wahrheit: Käse ist eine emotionale Geschichte.
Der unvermeidliche Witz: Ihr dörfed nachher au Chäs verzapfe!
Es dämmert, die Kühe kleben nicht mehr am Hang, die Menschen haben sich an die lange Tafel gesetzt und nicken und lächeln und sind manchmal auch ernsthaft. Der Salat ist wunderbar, aber nur dazu da, den Magen gross zu lassen für die angekündigte Geschwellti deluxe. Wenn der Käsemensch nicht seine mächtigen Worte im Raum verteilt, setzt er sich ans Ende der Tafel und spricht über Käse und Kartoffeln, über Zucker und Fleisch und die Lastwagen, die über den Brenner fahren mit eingesperrten lebendigen Schinken und andere schwindelerregende Blödsinnigkeiten, und er weiss alles. Wenn er zu weit vom Käse weggeht, erinnert ihn jemand daran, weil das ist das Faszinosum heute Abend; die Seele, die Geschichten und der Charakter von Käse.
Flammer sagt: Die Sbrinz-Produktion geht zurück, dabei ist so ein dreijähriger Sbrinz ein Traum! Aber die Italiener mit ihrem Grana Padano können einfach sehr gut vermarkten. Und die Sbrinzer nicht, sie machen Reibkäse, obwohl Sbrinz kein Reibkäse ist. Ausser frisch gehobelt – da hat er ein schönes Röstaroma.
Die unerschütterliche Wahrheit über Sbrinz: De faht a määggele.
Die noch unerschütterlichere Wahrheit: En guete Chäs isch en guete Chäs isch en guete Chäs.
Nach dem Salat spielt der Zauberbart wieder und schaut aus dem Fenster. Die Farbe der Töne ist nussbraun, sie suchen ihren Weg vorbei an einem Balken, hinter den sich der Zauberbart gesetzt hat. Der Geist wandert durch das Tal und auf einen Berg, stösst an Steine, schlägt die Knie auf, fällt in einen Trog, taumelt.
Dann, endlich, Käsegeruch, leichte Unruhe, leichte Nervosität, und der Zauberbart schaut auf die Uhr und hört doch nicht auf, die Töne müssen entknotet werden, aufgelöst, bis der letzte sitzt und die Zungen der Menschen sich auch wieder lösen.
Denn jetzt ist der Käse ist da und die Kartoffeln und der Kopf verabschiedet sich. Die Käse haben Alter und Namen und unterschiedliche Formen und Farben und Geschichten, die Käser, die da sind, erzählen sie, da ist Barmettler aus Stans mit seinem Stanserfladen, noch ein Barmettler von der Alp Bleiki mit seinem Alpsbrinz und Odermatt, der Kähle-Toni, Ziegenvater, sie reden von AOC Toggenburgern und AOC-Bestimmungen.
Flammer sagt: Der Stanserfladen ist der König unter den anwesenden Käsesorten!
Flammer sagt: Rohmilchkäse ist immer besser als Käse aus pasteurisierter Milch, ausser bei Raclettekäse.
Flammer sagt: Laktoseintoleranz, das wäre das schlimmste überhaupt.
Auch die Kartoffeln haben Namen und Geschichten und Farben, sie heissen zum Beispiel Röseler und Fleckler und Basler Miisli und Rothorn und alle sind frisch und jung. Jede Kartoffel kann mit einem anderen Käse gegessen werden und umgekehrt und Birnenhonig gibt es auch noch dazu, das sind für den Kopf viel zu viele Kombinationen, aber der Gaumen entdeckt doch zumindest ein paar, und längst spricht man auch darüber, welcher Käse jetzt weiss ist und gelb und welcher milchweiss und welcher glasigweiss.
Irgendwann erst erkennt die Gschwellti-Pilgerin, dass die Nacht schwarz geworden ist. Der Käse liegt in den Mägen, die Gäste sind glücklich. Jemand sagt: S’isch fein gsi. Und Anna-Barbara vom Pilgerhaus antwortet: Ja, so söll’s au sii.