© Jean Odermatt
CRYSTALLIZATION Das SAC-Kulturprojekt für alle Sinne
Haben die Werte der alpinen Kultur in der urbanen Welt noch eine Zukunft? Dieser Frage geht das Projekt des Schweizer Alpen-Club SAC in Tischgesprächen, Tafelrunden, Begehungen und künstlerischen Interventionen nach. Die Veranstaltungen werden kuratiert von Jean Odermatt.
Neben dem Klimawandel verändert vor allem die digitale Revolution in immer schneller werdendem Rhythmus unzählige gesellschaftliche Prozesse: Wanderungsströme, Beschäftigungs- und Einkommensstrukturen, Wahrnehmungs- und Erlebnisformen. Generell: Wertvorstellungen überhaupt. Diese Prozesse gehen auch am Alpinen Raum nicht spurlos vorbei und so stellt sich die Frage: Welches Landschaftsverständnis und welche Wertvorstellungen verbinden wir heute mit diesem Raum? Antworten dazu geben die verschiedenen Veranstaltungen, welche zwischen Mai und Oktober 2019 in verschiedenen (alpinen) Landesteilen stattfinden. Die Veranstaltungen werden von erfahrenen und prominenten Exponenten wie Dominik Flammer (Foodscout) oder Gian Rupf (Schauspieler) begleitet.
Der Begriff:
Crystallization bezeichnet den Prozess des Sich-Herausschälens, des Verdichtens einer Thematik und des Willens, etwas auf den Punkt zu bringen. Der Titel nimmt Bezug auf den Buchtitel einer Publikation des dänischen Künstlers und ausgebildeten Geologen Kirkeby Per Kirkebys: «Kristallgesicht» (1990)
Unter anderem mit:
Sämtliche Veranstaltungen
Die einzelnen Veranstaltungen verstehen sich gleichsam als Prozesse einer Kristallisation, eines Schürfens von und nach Themen und Ausdruckformen. Die Teilnehmenden sollen dabei ihre Sinne schärfen. Im Vordergrund steht die persönliche Erfahrung.
Das SAC-Kulturprojekt CRYSTALLIZATION umreisst die vier Themen:
- Schützen: Die Alpen als Schutz aber auch als Bedrohung. Eine Auseinandersetzung mit dem heutigen Wirtschafts- und Lebensmodell in den Alpen.
- Nähren: Die Alpen als Ernährungsraum, als Hort und Austauschraum lebenswichtiger Güter.
- Bewegen: Die Alpen als Transitraum und der Berg als Vertikale - ein Stachel in der modernen mobilen Gesellschaft.
- Echo: Die Alpen als Resonanz- und Sehnsuchtsraum und auch als ein gesellschaftliches Frühwarnsystem.
SALON ALPIN und die Kunst der Debatte
Die Salons gehen in Gesprächen der Frage nach, wie eine zeitgemässe Auseinandersetzung mit Themen des alpinen Raums aussehen kann. Der Künstler Joseph Beuys verstand menschliche Handlungen mit der Absicht zur Veränderung als ästhetischen Eingriff in die Wirklichkeit, als kreative Gestaltung im zwischenmenschlichen Austausch, als «Soziale Plastik». In diesem Sinne verstehen sich die SALON ALPIN als eine «Soziale Plastik» sie verstehen die ungeteilte Aufmerksamkeit als eine Geste, die Intensität der Auseinandersetzung als eine unablässige Befragung eines Gegenstandes und gehen von einer völligen Offenheit dem Thema gegenüber aus. Die Salons formen in ihrem Diskurs eine Skulptur des Wissens, bilden einen Versammlungsort, an dem sich Menschen und Ideen, Tradition und Zukunft zu Zwiegesprächen treffen und am Netz menschlichen Wissens weben.
Moderation: Jürg Steiner, Bern
Teilnehmende: Carla Jaggi (Bergführerin), Jürg Schmid (Präsident Graubünden Ferien), Jon Pult (Präsident Alpen-Initiative), Gion A. Caminada (Architekt), Benedikt Loderer (Stadtwanderer), Carmelia Maissen (Stadtpräsidentin Illanz); Erika Hiltbrunner (Biologin), Mike Keller, Josef Baumann, Nicole Müller (Hüttenwartin Trifthütte SAC) und viele mehr.
TAVOLATA und die Kunst der Tafelrunde
Tafelrunden sind seit jeher Orte des Austausches, Orte in denen alle Sinne angesprochen werden. Die Gemeinsamkeit von Ort, Zeit, Raum und Personen eröffnen Horizonte, machen wahrnehmbar. Ähnlich wie der SALON ALPIN wollen die TAVOLATAS einen Einblick über den Zustand der alpinen Welt geben, insbesondere in das kulinarische Erbe der Alpen. Im Gegensatz zum flüchtigen Blick «überwindet Geschmack jede Grenze und bleibt in Erinnerung» meint der Verantwortliche Dominik Flammer. Erinnerungen sind in unserem Gaumen, auf unserer Zunge und in unserer Nase verankert. In diesem Sinne verstehen sich die TAVOLATAS als eine Skulptur.
Dominik Flammer als Übersetzer zwischen Produzenten und Köchen und profunder Kenner des alpinen Ernährungsraumes ermöglicht die Begegnung mit Bekanntem und Vergessenem, mit Vergangenheit und Geschichte, erkundigt die Exotik des Naheliegenden, erfahrbar gemacht im Rahmen einer Tischgesellschaft. Durch den Magen schlüpft Erkenntnis, schärft die Sinne für das Naheliegende, oft Vergessene, den Preziosen ausserhalb des Mainstreams der internationalen Lebensmittelindustrie. Szenische Elemente wie Tischreden und musikalische Intermezzi machen die Tavolatas zu einem Gesamtkunstwerk.
PFADE und die Kunst des Gehens
Wanderungen sind Erzählungen. Wir lesen im Buch der Natur. Jahrzehntelang begegnete der Mensch der Dynamik der Natur (vor allem Boden, Wasser und Vegetation) mit einer Haltung der Beherrschung. Er ging davon aus, dass er die Kräfte der Natur ingenieurtechnisch bändigen und wissenschaftlich kategorisieren müsse und dies auch könne. Diese Errungenschaften wurden und werden als kulturelle Leistungen gepriesen. Gleichzeitig wurde Natur aber auch romantisch verherrlicht. Und in der aktuellen Diskussion über Klimawandel und Naturkatastrophen rücken nun Naturbeherrschung, Naturverherrlichung und Naturreproduktion in ein neues Verhältnis.
Unsere Vorstellungen und Teile unseres Wissens von Landschaft sind durch Wanderungsbewegungen entstanden. Beim Erschliessen einer Landschaft zu Fuss vollzieht sich eine Verbindung der einzelnen Raumbestandteile zu einer Erzählung. Die inspirierende Wirkung von Gehen und Wandern auf Gedankengänge und die Entstehung von Texten und Ideen hat eine lange Tradition. Gehen wird als Lesen des Raumes bzw. als Erzählung des Raumes interpretiert.
Gian Rupf ist Schauspieler und zeichnet sich verantwortlich für die Pfade. Nicht jedes Projekt muss in einem grossen Massstab stattfinden. Die Crystallization-Pfade wollen nicht Teil eines Event-Zirkus sein, sondern stille Begehungen an ganz spezifischen Orten, alle im Höhenbereich zwischen 2'000 und 3'000 m ü.M. Das Gehen in der Landschaft kann zu einem erfinderischen Prozess werden, bei dem im Wechselspiel aus Entdecken, Geschehen–Lassen und Reflektieren Neues entsteht. Der Autor Arno Camenisch wird auf dem Pfad Val Frisal mit Geschichten aufwarten, der Spoken Word-Pionier Juirczok 1001 im Averstal und der Schriftsteller Michael Fehr entlang einer Suone auf der Belalp.
Chronistinnen - die Kunst des Sich Erinnerns
Die Chronistinnen berichten von den Salon Alpins, den Pfaden, den Tavolatas. Dabei gilt zunächst das Sich-Einlassen und Beobachten. Die Ansammlung von visuellen, akustischen, olfaktorischen und taktilen Zeichen lässt sich mit der visuellen Qualität von Wörtern erzählen. Zum Erzählen gehört das Vielfältige und Unterschiedliche als konstitutive Elemente. Die Erzählung steht mit dem Entdecken in Verbindung.
Im Erzählen werden vielfältige zeitliche und topologische Wendungen vollzogen: Unterschiedliche Orte und Zeiten werden in andere transformiert. Bereits Erzähltes wird noch einmal und anders erzählt.
Erzählen vergegenwärtigt, Zurückliegendes oder Fernes wird in eine Nähe gerückt. Erzählungen geben dem Geschehen eine zweite Gestalt. Erzählung stiftet einen Sinn, überträgt Orte, Räume und Geschehnisse in Sprachbilder.
Die Erzählerin nimmt, was sie erzählt, aus der Erfahrung, aus der eigenen oder der berichteten. Und sie macht es zur Erfahrung derer, die ihrer Geschichte zuhören. So entsteht etwas, was zuvor noch nicht denkbar und noch nicht sichtbar war. So entstehen erzählte Erzählungen.
Barbara Geiser, Daria Wild, Julia Weber und Mirja Lanz wirken als Chronistinnen. Ihre Beiträge werden laufend auf dieser Webseite publiziert und verweben sich hier zu einer Dokumentation.
Musik - der rote Faden durch alle Veranstaltungen
Die einzelnen Veranstaltungen werden von den Musikern Fränggi Gehrig, Andermatt, Hans Hassler, Zug und Albin Brun, Luzern begleitet. Ihre Live-Musik zieht sich als roter Faden durch alle Veranstaltungen und schafft die Verbindung zwischen den einzelnen Veranstaltungen und zum Ausgangs- und Endpunkt in Bern. An der Eröffnung in Bern und am Tellspielhaus in Altdorf steht ein 20minütiges Intermezzo auf dem Programm.
Die Musiker Michael Fehr, Jurczok 1001 und Christian Zehnder sind in je unterschiedlichen Formaten mit ihrer Stimme oder ihren Instrumenten ein spezieller, prägender Moment und verbinden unsere Erlebnisse mit ihrem Klang.